Schlagwort: 9. November

Die Einheit der Ewalde

Die Einheitstrunkenheit ist meine Sache irgendwie immer noch nicht. Jedenfalls nicht an diesem Tag. Für mich ist der dritte Oktober ein eher blasser Tag, verglichen beispielsweise mit dem neunten November. Der Tag des Beitritts der neuen Länder in die Bundesrepublik Deutschland. Auf daß nichts mehr bleibe von der untergegangenen DDR. Am neunten November, ich habe hier schon drüber geschrieben, hat Günter Schabowski die DDR versenkt, ist der Kölner Revolutionär Robert Blum erschossen worden, hat Philipp Scheidemann vom Reichstagsgebäude aus die Republik ausgerufen, es gab den Putschversuch von Hitler und Ludendorff vor der Münchener Feldherrenhalle und später die antijüdischen Progrome, kurzum: der neunte November ist der Tag der Deutschen. In Ost und West. Heute und in der Vergangenheit. Der dritte Oktober ist Rathausturm Koeln - Weisser Ewald - Kunibertbloß ein arbeitsfreier Tag. Und der Namens-Tag Ewalds. Die beiden heiligen Brüder Ewaldi waren, wie wir Wikipedia entnehmen dürfen, in England geborene Missionare in Westfalen. Nach der Haarfarbe spricht man vom Schwarzen und vom Weißen Ewald. Die Reliquien dieser beiden Ewalde wurden durch Pippin den Mittleren nach Köln überführt. Erzbischof Anno, der Zweite bunkerte die Knöchelchen Eintausendvierundsiebzig in der Kirche Sankt Kunibert. In den Bistümern Essen, Köln, Münster und Paderborn werden die heiligen Ewalde am 3. Oktober verehrt. Also heute. Am Einheitstag. (Auf dem Foto vom Rathausturm in Köln ist Ewald der Weiße links zu sehen, neben Kunibert von Köln. © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons)

Schicksalstag

Neunter November. Von vielen wird er “Schicksalstag” geheißen. Ich habe keine Ahnung, was ein Schicksalstag denn wirklich sein könnte. Auffallend ist nur, daß an eben jenem neunten November ganz unterschiedliche, aber bedeutsame Ereignisse in Deutschland stattfanden. Den meisten dürfte der “Mauerfall” vor vierundzwanzig Jahren noch erinnerlich sein. “Das tritt nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich.” Günter Schabowski löste, mit und trotz verschrobener Syntax, dieses Ereignis aus und auch den Taumel hernach. Kaum mehr im Bewusstsein der Deutschen dürfte hingegen sein, daß heute vor einhundertfünfundsechzig Jahren, achtzehnhundertachtundvierzig, Robert Blum standrechtlich erschossen worden ist. In Wien. Der Kölner Robert Blum war Abgeordneter des ersten demokratischen deutschen Parlamentes, der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, und einer der Führer der bürgerlichen Revolution im Frühjahr achtzehnhundertachtundvierzig, der Märzrevolution. Die Hinrichtung von Robert Blum in Wien durch die reaktionäre Regierung Österreichs unter Bruch der parlamentarischen Immunität ist ein entscheidendes Ereignis auf dem Weg zur Niederlage dieser ersten bürgerlichen Revolution in Deutschland. Siebzig Jahre später, neunzehnhundertachtzehn, ruft am neunten November der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Berliner Reichstagsgebäude aus die “deutsche Republik” aus, weil der Krieg verloren war und die Monarchie nicht mehr zu retten, nachdem der Kaiser abgedankt hatte. Stunden später ist der gleiche Reichstag die Tribüne für Karl Liebknecht vom Spartakusbund,  die “freie und sozialistische Republik Deutschland” auszurufen. Der in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannte Parteichef der NSDAP, Adolf Hitler, und der national-völkische Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff scheitern mit einem Putschversuch vor der Münchner Feldherrnhalle. Nach nur wenigen Stunden. Sechzehn Menschen ließen an diesem neunten November neunzehnhundertdreiundzwanzig in München ihr Leben. Nur fünfzehn Jahre später erleben Berlin und ganz Deutschland am neunten November die antjüdische Progromnacht, verharmlosend als “Reichskristallnacht” bekannt geworden. Im ganzen Gebiet des Deutschen Reiches wurden jüdische Geschäfte demoliert und Synagogen in Brand gesteckt. Hunderte  Juden wurden innerhalb weniger Tage ermordet. Der neunte November ist  Auftakt der offenen Verfolgung der Juden bis hin zum systematischen Holocaust. Und schließlich wird am neunten November neunzehnhundertdreiundfünfzig in Hamburg der Deutsche Kinderschutzbund gegründet und entwickelt sich in den folgenden sechzig Jahren zur bedeutendsten Lobbyorganisation für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Der neunte November. Ein Schicksalstag? Ein Schicksalstag.