Kategorie: Medien

“Wortgranaten-Litanei”

Das meine ich, wenn ich sage: Schreibt den AfD-Steigbügelhaltern. Sie sie sind so fest mit ihrer Blase verhandelt, dass sie schon gar nicht mehr merken, wie einfältig, wie primitiv, wie weit jenseits von ernsthaftem Journalismus ihr Propagandageschrei ist. Warum hat das mit Journalismus nichts mehr zu tun? Weil: “Elitenideologie”, “Sprachjakobiner und Cancel-Orgien”, “Verbieten von Indianern und Schweineschnitzeln”, “großstädtische Bourgeoisie”, “rotgrüne Umerziehungs- und Moralträume”, “Flüchtlinge aufzunehmen, die, wie in Videos zu sehen, die Hamas-Barbarei bejubeln” – man gähnt beim Lesen angesichts dieser ewig wiedergekäuten Wortgranaten-Litanei. Viel Meinung, kaum Fakten, und die wenigen Fakten zum Popanz aufgeblasen. Elitenideologie – was ist das? Zählen der Porschefahrer Poschardt und der Privatflugzeugeigner Merz nicht auch zu den “Eliten”? Cancel-Orgien – wann, wo, wieviele, und wer cancelt wen? Der Alltag an unseren Hochschulen läuft zu 99 Prozent reibungslos. Sprachjakobiner – wenn Herr Ploß in Hamburg die igiitigitt-Gendersprache verbieten will, ist er dann nicht auch ein Jakobiner, nur von der anderen Seite? Ist irgendein Bundesbürger bekannt, dem es bei Strafe verboten wurde, sein Schweineschnitzel zu essen? Ist schon mal die Polizei gekommen, weil irgendwo in Deutschland jemand Indianer gesagt hat? Will wiederum Herr Poschardt verbieten, über den Zusammenhang von Fleischkonsum und Klima nachzudenken und wissenschaftliche Ergebnisse dazu zu veröffentlichen? Umerziehung – wer zieht wann wen um mit welchem Ziel? Ist es Umerziehung, wenn in Kneipen das Rauchen verboten wird, das Fahren mit Alkohol? Soll es Umerziehung sein, wenn angesichts des Klimawandels bestimmte gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, um den CO2-Ausstoß zu senken? Flüchtlinge, die den Hamas-Terror bejubeln – wieviele sind es in wievielen Städten? Ich lebe hier in Mainz, mir ist nichts bekannt von Flüchtlingsjubel über das Hamas-Massaker, auch aus den Migrantenhochburgen Frankfurt, Offenbach höre ich nichts. Dagegen erlebe ich täglich, wie reibungslos das Zusammenleben in diesen Vielvölkerstädten funktioniert. Herr Poschardt ist trunken vor Freude, dass er und Konsorten während der letzten Monate mit ihren Propaganda- und Desinformationskampagnen den Wahlerfolg der AfD herbeigeschrieben haben. Eine rechtsradikale Partei mit Macht auszustatten ist anscheinend ein kleineres Übel als das Regiertwerden von demokratischen Parteien in schwierigen Zeiten. Darum bitte: schreibt ihm. Macht ihm klar, dass es außer seiner Blase auch noch andere Menschen gibt, die anders denken als er. Fordert ihn auf, seine Behauptungen zu belegen, seine Wortgranaten mit Inhalten zu unterfüttern. Fragt ihn nach seinem journalistischen Ethos, seinem Verantwortungsbewusstsein. Und fragt ihn, wie weit er noch gehen will, ob er etwa schon zu Steve Bannon unterwegs ist, dem ehemaligen Berater Donald Trumps, der als dessen Wahlkampfstrategie empfohlen hat: Flute das Netz mit Shit. Pumpe an den seriösen Medien vorbei soviel unsinniges, hetzerisches, widersprüchliches, absurdes, faktenverdrehendes Zeug ins Internet, dass die Leute zuerst nicht mehr wissen, was und wem sie glauben sollen, und danach anfangen zu glauben, dass es prinzipiell gar keine gesicherten Fakten gibt.

Christian Nürnberger auf seiner Facebookseite

© Christian Nürnberger CC BY-SA 4.0

“Neue Formen des Wahljournalismus”

Diesen grobschlächtigen Vertreter einer neofaschistischen Partei, für den es ohne Mandat in Wiesbaden wohl nur zum Platzwart beim FV Biebrich gereicht hätte, am Wahlabend derart ungefiltert seine Jubelparolen in die Kamera quaken zu lassen, um sich vor aller Welt blamieren zu dürfen, ist mehr als verspätet: Wer sich für die AfD in Hessen interessiert, hätte in der vergangenen Legislaturperiode fünf Jahre Zeit gehabt, um Lambrou und Konsorten beim Dilettieren im Plenarsaal zuzuschauen. Jetzt ist die Wahl gelaufen. Anstatt einer vor Schadenfreude und Verachtung für die Demokratie geifernden Alice Weidel im Hessischen Landtag das Mikrofon unter die Nase zu halten, sollten die Sender schleunigst neue Formen des Wahljournalismus finden. So wie die Sendungen bisher funktionieren, erwecken sie jedenfalls den falschen Eindruck, als sei das Erstarken der neofaschistischen Alternative für Deutschland normale demokratische Praxis.

Moritz Post, Frankfurter Rundschau

Klimaschutzjournalismus: Wo sind Perspektive und Kontext?

Es kostet Zeit und Mühe, Hypes zu entzaubern. – Zu der Erkenntnis kann auch kommen, wer sich in die Berichterstattung über Wärmepumpen und Gebäudeenergie vertieft. Es hat in den vergangenen Wochen in Teilen des Journalismus offensichtlich an viel Zeit und Mühe gefehlt. Ein paar Beiträge zur Hype-Entzauberung gab es (Altpapier). Aber maßgeblich bestimmt war die Debatte über das Gebäudeenergiegesetzesvorhaben des Klima- und Wirtschaftsministeriums von blöd-boulevardesken Krampf-Kategorien wie “Habecks Heiz-Hammer”.

Das Gesetz hatte oder hat Schwächen, Lücken – nennen Sie es, wie Sie wollen. Vielleicht hat es sogar eine Menge Schwächen, über die unbedingt zu reden war und ist. Aber die Debatte darüber strotzte und strotzt vor Unredlichkeit. Friederike Haupt schreibt heute im “FAZ”-Leitartikel: “Gefährlich ist (…) nicht der Streit, sondern die Vermeidung des Arguments. Sie verleiht Erregungsgrad und Lautstärke eine Bedeutung, die ihnen nicht zukommt.” Sie belegt ihre Kritik mit Äußerungen aus der CDU (“Heizungswahn”, “Energie-Stasi”). 

Aber ebenso der Rede wert ist die Performance von Medien. Harald Staun hat sie in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” nachgezeichnet und die Unredlichkeit exemplarisch in den Kampagnen von “Bild” und Bootskapitän Gabor Steingart festgestellt,

“der täglich neue Listen von Halbwahrheiten raushaut, ’Die sieben Irrtümer des Robert Habeck”, die ‘sechs Zumutungen, die den Minister und die Wirtschaft (…) aus dem Takt gebracht haben’, ‘fünf Fakten, die Habecks Leuchtkraft schwächen’. Auch andere Medien schenken dem Streit viel mehr Aufmerksamkeit als der kompetenten Aufklärung, als könnte man das politische Kalkül dahinter nicht deutlich erkennen.” 

Wobei es noch keine Erkenntnis ist, dass es im Journalismus diskursive Unredlichkeit gibt. Selbstverständlich gibt es die. Interessant und relevant ist aber, dass so viele darauf einsteigen, als wäre das ein alternativloses Vorgehen. Harald Staun schreibt: 
“(A)uch die, die ihre Kritik ein bisschen eleganter formulieren, behandeln das Thema oft mit journalistischen Reflexen, die angesichts der tatsächlichen Herausforderungen selbst wie Rudimente einer schrottreifen Technologie wirken: Personalisierung und Performance-Kritik, Koalitionsstreit-Ticker und Insider-Tweets vom parteipolitischen Hickhack, Reportagen über problematische Einzelfallschicksale – das sind die dürftigen Genres eines Politjournalismus, dessen chronische Defizite nun fast bizarr wirken.” 

Es ist, als wäre eine KI am Werk: Wenn erstmal eine kritische Masse an Beiträgen erschienen ist, in denen das Wort “Heizhammer” auftaucht, wird es wohl quasi automatisch auch in andere eingerechnet, als handelte es sich um einen ernstzunehmenden Befund aus der Klimawissenschaft. Nochmal Harald Staun:

“Der Preis für die mediale Präsenz von Klimaschutzthemen ist offenbar, dass jede konstruktive Berichterstattung in den Routinen eines Nachrichtenjournalismus aufgerieben wird, der Aktualität und Nähe auch in einem Bereich für die Leitwährung hält, in dem Perspektive und Kontext viel relevanter wären.”

Klaus Raab, Altpapier

Anbiederung durch Verflachung

“Die Erfüllung des Programmauftrages (der Rundfunkanstalten, W.Horn) kann auch nicht darin bestehen, dass man lediglich erfasst, was denn die Nutzer hören und sehen wollen. Nein, man muss sich in den Sendern auch fragen: ‘Was müssen sie denn erfahren, was müssen sie wissen, welche unterschiedlichen Meinungen müssen sie kennenlernen?’ Anbiederung durch Verflachung ist eine Beleidigung mündiger Bürger.”

Gerhart Baum, in Altpapier

ARD: Kaum Klimaberichte in “Wirtschaft vor acht”

Vor einem Jahr hat die ARD angekündigt, “Börse vor acht” in “Wirtschaft vor acht”umzuwandeln. Ein Schwerpunkt sollte sein: das Themengebiet Ökonomie/Ökologie. Norman Schumann und Michael Brüggemann haben sich für den “Climate Matters”-Blog der Uni Hamburg damit beschäftigt, wie oft das Thema Klima in der Sendung vorkommt:

“Seit der Umbenennung (…) nimmt die Erwähnung des Wortes ‘Klima’ leicht ab. Vom März 2021-2022 wurde es in 69 von 246 Sendungen erwähnt. Im folgenden Jahr erwähnten 53 von 243 Sendungen das Suchwort – das entspricht ca. 21,8% der werktäglichen Sendungen. Diese Auswertung deutet darauf hin, dass der Klimawandel zwar als Referenz regelmäßig vorkommt, aber schon die vielen Tage ohne bloße Erwähnung zeigen: sehr viel Wirtschaftsberichterstattung kommt nach wie vor ohne einen Bezug zu dem Thema aus. Bei der Bewertung dieser Zahlen ist zu bedenken: fast jede wirtschaftliche Aktivität und Entscheidung hat einen Klimabezug, da sie zumindest indirekt zu mehr (oder weniger) Kohlendioxid-Emissionen beiträgt.” “(Es gab) lediglich 19 Sendungen, in denen ein Schwerpunkt der Sendung auf Klima lag, (das sind) gerade mal 7,8 % aller Sendungen. Nur eine einzige Sendung hat sich ausschließlich mit dem Klimawandel beschäftigt, am 18. Juli 2022 gab es drei Minuten zum Thema.”

Das Fazit der Autoren: “Die Klimakrise war im ersten Jahr kein Schwerpunkt im neuen Sendekonzept.” 

Norman Schumann und Michael Brüggemann, Klima-Zeitenwende in der ARD? – Ein Jahr “Wirtschaft vor acht”, in: Climate Matters

Das letzte Wort

Jetzt reden sie zu zweit. Überwiegend. Der eine mit Kenntnissen vom Fußball, der andere mit Kenntnissen, ja, von was? vom Medienbetrieb. Ungebremst der eine, zu schnell, oft unverständlich. Wie immer und heute zum letzten Male der andere. Sie parlieren miteinander, plaudern, scherzen. Nur miteinander. Nicht mit einem, nicht für ein Publikum. An denen vorbei. Beide. Zum letzten Mal heute. Leider nur die beiden.

Katar gegen Ecuador

Unsystematisches Gegrummel zur Fußballweltmeisterschaft

Ich bin mir gar nicht so sicher, daß ich mir das Fußballweltmeisterschaftsspiel zwischen Katar und Ecuador, das während einer Weltmeisterschaft, sagen wir in: Brasilien stattgefunden hätte oder in Polen mit Ungarn oder den Vereinigten Staaten von Amerika angesehen hätte im Fernsehen. Noch wesentlich jünger, vor vielen Jahren, gewiß. Da war jede Fußball-WM ein Ereignis mit Wucht, eines, von dem ich möglichst viel, möglichst alles mitbekommen wollte. Katar gegen Ecuador ist am kommenden Samstag das Eröffnungsspiel der diesjährigen Winterweltmeisterschsft im Wüstensand. Und von überall her ertönt der Ruf nach Boykott. Diese WM darf man sich nicht ansehen, wegen des Skandals eines völlig korrupten Vergabeverfahrens. Die schlechteste WM-Bewerbung aller Zeiten wurde belohnt. Die Spiele finden im Winter statt, weil der Sommer dort in Katar mit seinen fünfzig Grad doch zu heiß ist fürs Kicken. Sie finden dort statt, wo es wirklich keine Fußballtradition gibt. In einem sehr kleinen Land, kleiner als Schleswig-Holstein, am Rande einer Wüste, das touristisch kaum etwas zu bieten hat. Fußballfans, die die Spiele besuchen wollen, müssen sich mit äußerst rückständigen kulturellen und sozialen Umständen abfinden. Eine kleine, unendlich reiche Männergesellschaft regiert das Land nach islamistischem Gutdünken; die Arbeit wird von asiatischen Arbeitssklaven erledigt, denen alle sozialen Rechte genommen werden; Frauen werden Menschenrechte vorenthalten; Homosexuelle werden verfolgt. Kurzum: Der Wüstenstaat ist noch nicht in der Moderne angekommen. Ob das jemals gelingen kann mit der Ausrichtung eines Welt-Fußballturniers, bleibt fraglich. Der Boykott der Fernsehübertragungen wird Katar ebenfalls nicht zur Turboentwicklung verhelfen können. Die Spiele von Bayern München beispielsweise wurden von niemandem bis jetzt als sanktionsreif bewertet. Dabei ist einer der potentesten Finanzpartner des bundesdeutschen Abonnementsmeisters Katar und seine Fluggesellschaft. Die Spiele der englischen Profiliga sind auch völlig frei von Boykottüberlegungen, obwohl es dort, jenseits des Kanals sowie in Spanien, Frankreich oder Italien doch nur so wimmelt von Vereinen, die mit dem Kapital aus den schmuddeligen Öl- und Gasgeschäften im Nahen Osten zunächst saniert und hernach auf die Erfolgsspur gebracht worden sind. Durchaus vergleichbare Umstände werden schließlich mit ganz unterschiedlichen Ellen gemessen. Meine Lust am Boykott, noch selten wirklich ausgeprägt, wird nicht angefacht. Aber: Katar gegen Ecuador? Das wäre auch unter Bolsonaro oder der PIS-Partei kein Bringer. Das muß man nicht boykottieren. Das sieht man sich einfach nicht an. Als Teil eines Boykotts würde ein derartiges Spiel allenfalls noch geadelt. Zu dieser Begegnung kommt es nur, weil es der FIFA, dem Welt-Fußballverband, stets um die Steigerung der Anzahl der Teilnehmerländer an diesem Großereignis ging und geht. Mehr, mehr, mehr Mannschaften, mehr, mehr, mehr Geld. Und dann? Katar gegen Ecuador. Nein, ich boykottiere diese WM nicht. Aber ich schaue mir auch nicht mehr jedes Spiel an. Mal sehen. Vielleicht grummele ich einfach weiter …

Damage in the mind

Eine Fußballweltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar ist eine mentale Schwäche, eine Geisteskrankheit, das Produkt von unermeßlichem Reichtum, von Gier, von Korrumpierbarkeit, kultureller Rückständigkeit und der Phantasie von Allmacht, der Glaube, daß Geld Berge versetzen könne. Das macht der Film des ZDF-Journalisten Jochen Breyer deutlich, der noch im Archiv des ZDF zu besichtigen ist: Geheimsache Katar. Unbedingt sehenswert.
In dieser Dokumentation geht es darum, wie die Fußball-WM in den Wüstensand gesetzt wurde, welche Uhrengeschenke an Karlheinz Rummenigge welche Rolle spielten bei der Vergabe des Turniers an diesen arabischen Kleinstaat,, was homosexuelle Besucher in dem Staat erwartet, der nur äußerlich modern ist, was Architektur angeht, Technik, kulturell aber noch ein paar Jahrhunderte hinterher hinkt. Das Wort von der Damage in the mind ist übrigens die Zuschreibung des katarischen Weltmeisterschaftsbotschafters an Homosexuelle. Frauen habén letztlich nicht die Rechte, die Männer sich gegriffen haben. Fürs Arbeiten hält man sich Quasi-Sklaven, meist aus Asien. Die Unsicherheit bleibt: kann man sich ab dem zwanzigsten November der WM zuwenden? In Ruhe Fernsehfußball schauen? Sicher ist das nicht. So wenig, wie allein der Fernsehboykott als psycho-hygienisch gelten kann.