Kategorie: Medien

Man muß sich auf den Wahnsinn nur einlassen

Ich mag diese Bilder, die niemand erschaffen hat, sondern auf der Basis von Textbefehlen entstanden sind. Sozusagen künstlich. Wobei künstlich ja auch etwa Computeranimationen sind. Sei’s drum. Hier ist die Basis ein Text mit einer Anweisung. Etwa: Erstelle eine fotorealistische, dystopische Stadtansicht mit kleinem Hafen und Kirche sowie flanierenden Menschen in der Abendsonne. Und dann geht der Wahnsinn los. Laßt Euch auf den Wahnsinn ein. Ich habe nur auf den Tonspuren ein wenig am Wahnsinn gedreht.

Royals gegen Rechtsextremismus

Dreißig Sekunden, so Klaus Raab im gestrigen Altpapier, habe am Sonntag die dritte Meldung in der Tagesschau gedauert, in der über die Demonstrationen gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus berichtet wurde. In “mehreren Städten” hätten demnach “Tausende” demonstriert. Wenn aber alleine in Berlin fünfundzwanzigtausend Menschen unterwegs waren, wäre das Wörtchen „zehntausende“ gewiß eher angebracht.

Die Topmeldung war, daß “Dänemark nach mehr als einem halben Jahrhundert ein neues Staatsoberhaupt” habe. Kann man machen. Schreibt Klaus Raab. „An einem Tag, an dem sonst nur Löwen für Wildschweine gehalten werden und in der Fußball-Männerbundesliga Bayern München ein Spiel gewinnt. Oder wenn man ein Boulevardmagazin ist. Aber am gestrigen Sonntag als erster Satz in der 20-Uhr-‚Tagesschau‘?“

Was genau qualifizierte die dänische Umkrönung gestern zur Topmeldung der ARD, fragt Raab. Die schönen Klamotten? In der Auswahl der Themen jedenfalls wird die redaktionelle Gewichtung deutlich. Leider.

Anspruchsdenken

“Sehr klar in seinen Argumenten legt Christian Schüle dar, wie unerlässlich ein von Quotendenken, Überforderungsängsten und Denkfaulheit freies Kulturprogramm für den Erhalt der Demokratie ist. Und wer sollte ein solches zuvorderst anbieten, wenn nicht die beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender? Immer niederschwelliger werden zu wollen, führe zu einer Nivellierung von Kontexten, zu glatt polierten Oberflächen, auf denen nichts mehr haften bleibe. ‘Wer keinen Anspruch mehr anbietet, schafft keine Nachfrage nach Anspruch. Weshalb er selbst irgendwann keinen Anspruch mehr hat, Anspruch anzubieten.’”

Stefan Fischer, Gute Nacht BR, in: Süddeutsche Zeitung

“Bastion für geprüfte Information”

“Erhalten Sie das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Es ist wahrlich nicht ohne Fehler. Aber es ist beim überall abnehmenden Wert von Wahrheit eine der wichtigen Bastionen für so verlässlich wie möglich geprüfte Informationen und für eine verantwortungs­volle Einordnung.”

Theo Koll, Leiter des ZDF-Hauptstudios, verabschiedete sich am Sonntag in der Sendung “Berlin direkt” in den Ruhestand

Theo Koll © Superbass – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

“Freimachen davon, was die AfD erzählt”

Ann-Katrin Müller in ihrem aktuellen “Spiegel”-Leitartikel , zitiert nach dem Altpapier

“Wortgranaten-Litanei”

Das meine ich, wenn ich sage: Schreibt den AfD-Steigbügelhaltern. Sie sie sind so fest mit ihrer Blase verhandelt, dass sie schon gar nicht mehr merken, wie einfältig, wie primitiv, wie weit jenseits von ernsthaftem Journalismus ihr Propagandageschrei ist. Warum hat das mit Journalismus nichts mehr zu tun? Weil: “Elitenideologie”, “Sprachjakobiner und Cancel-Orgien”, “Verbieten von Indianern und Schweineschnitzeln”, “großstädtische Bourgeoisie”, “rotgrüne Umerziehungs- und Moralträume”, “Flüchtlinge aufzunehmen, die, wie in Videos zu sehen, die Hamas-Barbarei bejubeln” – man gähnt beim Lesen angesichts dieser ewig wiedergekäuten Wortgranaten-Litanei. Viel Meinung, kaum Fakten, und die wenigen Fakten zum Popanz aufgeblasen. Elitenideologie – was ist das? Zählen der Porschefahrer Poschardt und der Privatflugzeugeigner Merz nicht auch zu den “Eliten”? Cancel-Orgien – wann, wo, wieviele, und wer cancelt wen? Der Alltag an unseren Hochschulen läuft zu 99 Prozent reibungslos. Sprachjakobiner – wenn Herr Ploß in Hamburg die igiitigitt-Gendersprache verbieten will, ist er dann nicht auch ein Jakobiner, nur von der anderen Seite? Ist irgendein Bundesbürger bekannt, dem es bei Strafe verboten wurde, sein Schweineschnitzel zu essen? Ist schon mal die Polizei gekommen, weil irgendwo in Deutschland jemand Indianer gesagt hat? Will wiederum Herr Poschardt verbieten, über den Zusammenhang von Fleischkonsum und Klima nachzudenken und wissenschaftliche Ergebnisse dazu zu veröffentlichen? Umerziehung – wer zieht wann wen um mit welchem Ziel? Ist es Umerziehung, wenn in Kneipen das Rauchen verboten wird, das Fahren mit Alkohol? Soll es Umerziehung sein, wenn angesichts des Klimawandels bestimmte gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, um den CO2-Ausstoß zu senken? Flüchtlinge, die den Hamas-Terror bejubeln – wieviele sind es in wievielen Städten? Ich lebe hier in Mainz, mir ist nichts bekannt von Flüchtlingsjubel über das Hamas-Massaker, auch aus den Migrantenhochburgen Frankfurt, Offenbach höre ich nichts. Dagegen erlebe ich täglich, wie reibungslos das Zusammenleben in diesen Vielvölkerstädten funktioniert. Herr Poschardt ist trunken vor Freude, dass er und Konsorten während der letzten Monate mit ihren Propaganda- und Desinformationskampagnen den Wahlerfolg der AfD herbeigeschrieben haben. Eine rechtsradikale Partei mit Macht auszustatten ist anscheinend ein kleineres Übel als das Regiertwerden von demokratischen Parteien in schwierigen Zeiten. Darum bitte: schreibt ihm. Macht ihm klar, dass es außer seiner Blase auch noch andere Menschen gibt, die anders denken als er. Fordert ihn auf, seine Behauptungen zu belegen, seine Wortgranaten mit Inhalten zu unterfüttern. Fragt ihn nach seinem journalistischen Ethos, seinem Verantwortungsbewusstsein. Und fragt ihn, wie weit er noch gehen will, ob er etwa schon zu Steve Bannon unterwegs ist, dem ehemaligen Berater Donald Trumps, der als dessen Wahlkampfstrategie empfohlen hat: Flute das Netz mit Shit. Pumpe an den seriösen Medien vorbei soviel unsinniges, hetzerisches, widersprüchliches, absurdes, faktenverdrehendes Zeug ins Internet, dass die Leute zuerst nicht mehr wissen, was und wem sie glauben sollen, und danach anfangen zu glauben, dass es prinzipiell gar keine gesicherten Fakten gibt.

Christian Nürnberger auf seiner Facebookseite

© Christian Nürnberger CC BY-SA 4.0

“Neue Formen des Wahljournalismus”

Diesen grobschlächtigen Vertreter einer neofaschistischen Partei, für den es ohne Mandat in Wiesbaden wohl nur zum Platzwart beim FV Biebrich gereicht hätte, am Wahlabend derart ungefiltert seine Jubelparolen in die Kamera quaken zu lassen, um sich vor aller Welt blamieren zu dürfen, ist mehr als verspätet: Wer sich für die AfD in Hessen interessiert, hätte in der vergangenen Legislaturperiode fünf Jahre Zeit gehabt, um Lambrou und Konsorten beim Dilettieren im Plenarsaal zuzuschauen. Jetzt ist die Wahl gelaufen. Anstatt einer vor Schadenfreude und Verachtung für die Demokratie geifernden Alice Weidel im Hessischen Landtag das Mikrofon unter die Nase zu halten, sollten die Sender schleunigst neue Formen des Wahljournalismus finden. So wie die Sendungen bisher funktionieren, erwecken sie jedenfalls den falschen Eindruck, als sei das Erstarken der neofaschistischen Alternative für Deutschland normale demokratische Praxis.

Moritz Post, Frankfurter Rundschau