Kategorie: Wermelskirchen

Das Ressentiment lädt sich an der eigenen Erregung auf

Natürlich können Zorn und Angst, Sorge und Unmut auch wirkungsmächtige Vektoren demokratischer Veränderung sein. Natürlich braucht es auch politische Emotionen als Quellen der Kritik an sozialer Ungleichheit oder struktureller Misshandlung. Nicht die Affekte selbst sind fragwürdig, sondern wenn Menschen darin unbeweglich werden und in ihnen verharren. Ohne Nachfragen, ohne Analyse, ohne Widerspruch verdichten und verhärten sich diese ungefilterten Emotionen oft zu Ressentiments. Sie entkoppeln sich mehr und mehr von der Außenwelt und speisen sich nur noch aus sich selbst. Es ist diese Wut, die sich bei den Bauernprotesten zeigt, die sich blind und taub zeigt gegen alle inneren oder äußeren Zweifel.

“Das Ressentiment ist das, was keine Erfahrung mehr zu machen versteht”, schreibt die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury in ihrem sensationellen Buch “Hier liegt Bitterkeit begraben”, das Ressentiment ist das, was eine Person oder Gruppe im emotionalen Loop gefangen hält, das Ressentiment wiederholt nur mehr den Zorn, es lädt sich an der eigenen Erregung auf. Das Ressentiment beschädigt nicht nur diejenigen, gegen die es sich richtet, sondern vor allem auch die in ihm gefangen zurückbleiben. Die Bitterkeit ist nicht nur eine, die sich auf das Gemeinwesen auswirkt, sondern auf die Verbitterten selbst. Das Ressentiment beraubt diejenigen, die ihm unterliegen, ihrer Handlungsfähigkeit. Das Ressentiment stellt sich allem, was eine Lösung sein könnte für die realen, drängenden ökonomischen, sozialen, politischen Nöte, in den Weg. “Das ist die Gefahr eines konsequent entfalteten Ressentiments”, schreibt Fleury, “es eignet sich nicht mehr für Verhandlung, Austausch und Schlichtung.”

Carolin Emcke, Schluss mit schlechter Laune, in: Süddeutsche Zeitung vom neunten März Zweitausendundvierundzwanzig

Die Epidemie der Einsamkeit

Der Zuspruch, den seltsame Bewegungen wie die Gilets Jaunes, die Tea-Party, die Coronaleugner und sonstige sektenartige Clubs erfahren, ist nicht allein durch russische Korruption zu erklären. Irgendwie wirken die westlichen Demokratien schwach auf der Brust. Die Idee der offenen Gesellschaft wird angegriffen und kaum jemand verteidigt sie. Ich denke da oft, wenn ich nach Ursachen frage, in Richtung der eklatanten Vermögensdifferenzen, aber es gibt auch andere Ansätze. Die Epidemie der Einsamkeit, oder der nur noch digital vermittelten Kommunikation, trägt auch dazu bei, dass die Öffentlichkeit so seltsam fieberträumend wirkt und jeglicher Idealismus so müde. Und auch hierfür trägt der digitale Kapitalismus der sozialen Netzwerke eine Verantwortung. Eines Tages mag uns der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Digitalisierung so evident erscheinen wie heute der zwischen Röntgenstrahlen und Krebsgefahr. In der Frühzeit dieser Technik aber warben moderne Schuhgeschäfte mit Apparaten, die die Passform von Schuhen per Röntgenaufnahme abbilden können.

Nils Minkmar, Newsletter DER SIEBTE TAG: Im Bonusmonat.
Der Fall Grumbach/Epidemie der Einsamkeit/Serie Stonehouse/Slater tröstet

AI

Ein paar Minuten Unterhaltung mit einem Film, Filmen, kurzen Filmschnipseln, die niemals je von Models oder Schauspielerinnen gespielt worden sind, in Szenen, die niemals je von einem Bühnen- oder Szenenbildner erdacht worden sind, mit Bildern oder Photos, die niemals je von einem Maler oder einer Fotografin gemalt oder geschossen worden sind, in Räumen, die niemals je von Architekten ersonnen worden sind, Filme, die in Gegenden spielen, die es niemals je auf der ganzen Welt gegeben hat, in Kostümen, die niemals je von einer Kostümbildnerin ausgedacht und von Schneiderinnen genäht worden sind, Filme, die niemals je von Ausstattern bestückt, Filme, die niemals je von Kameraleuten gedreht, die niemals je von Cuttern geschnitten worden sind. Alles künstlich, alles artifiziell. AI. Artificial Intelligence. “Prompt ergo sum.”

Gesprächskultur

Ich bin nun nicht gerade als Fanboy von Christian Lindner bekannt. Gleichwohl muß ich eine Lanze für ihn brechen. Wenn die Redaktion einer Fernsehsendung den Bundesfinanzminister in eine Gesprächssendung einlädt, dann darf die Moderatorin dieser Sendung dem Minister nicht ständig ins Wort fallen. Harte Fragen stellen: kein Problem. Kritisch nachfragen: kein Problem. Aber unablässig unterbrechen, ständig dazwischen quatschen, womöglich, weil der Minister nicht, noch nicht gesagt hat, was die Moderatorin sich auf ihrem Spiekzettel vorgemerkt hat. Man muß nicht einverstanden sein mit dem, was der Finanzminister Lindner so von sich gibt. Aber wenn man ihn zum Gespräch lädt, muß man mit dem leben, was er von sich gibt. In privater Runde wäre der oder die, der sich so benimmt wie Frau Illner, aus dem Freundeskreis schon lange ausgeschlossen.

Neue Einheit für zettabyteweise Daten

Jetzt aber noch die oben versprochene Zahl mit 30 Nullen. Quettabyte heißt sie. Dieser Name wurde neu kreiiert, da die bisher größte Zahl namens Zettabyte bald nicht mehr ausreichen wird, wenn es so (“Haben Menschen auf der Welt 2010 noch knapp 2 Zettabyte an Daten generiert, waren es 2022 schon knapp 104 Zettabyte”) weitergeht. Das schreibt und versinnbildlicht schön die Rubrik “Schneller schlau” im “FAZ”-Wirtschaftsressort. Heute befasst sich sich mit der anhaltenden “Datenexplosion”:
“Wer einen Quettabyte auf einem Smartphone wie dem iPhone 15 speichern wollen würde, benötigte so viele Geräte, dass sie aneinandergereiht gut 150 Millionen Kilometer lang wären, hat das IT-Unternehmen Cohesity ausgerechnet. Das entspricht ungefähr dem Abstand von der Erde zur Sonne.”
Wie viele gedruckte Telefonbücher oder Zeitungen im “FAZ”-Format es bräuchte, um diese Distanz darzustellen … das könnte eine KI locker ausrechnen, zumindest, wenn man in die Anfrage nicht “Quettabyte”, sondern “1.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000” schriebe. So was sollte man sich aber sparen, denn gerade Künstliche Intelligenz dürfte künftige “Datenexplosionen” weiter befeuern: “Eine Anfrage an ChatGPT soll Schätzungen zufolge knapp 10-mal mehr Energie verbrauchen als eine einfache Google-Suche”, und um “die Klimafolgen” dieses exponentiell ansteigenden Energieverbrauchs geht es auch. Dass es Energie spart, eine lange Textkolumne ohne viel visuellen Schnickschnack zu lesen, anstatt ein Video auf Googles Youtube oder Netflix zu schauen (die mit mehr als einem Viertel des gesamten Datenverkehrs derzeit die größten Verursacher sind), lässt sich wohl daraus ableiten.

Christian Bartels, KOLUMNE: DAS ALTPAPIER AM 8. JANUAR 2024.
Eine Zahl mit 30