Monat: Juli 2017

Moderner Aufbruch

Moderner Aufbruch. Das Motto der neuen Landesregierung aus CDU und FDP. Morgen werden sie zu bestaunen sein, der Aufbruch, das Moderne, die Wegweisung in die Zukunft. Dann nämlich, wenn sich die Landesregierung im Deutschen Bundesrat, der Ländervertretung, der Stimme enthalten wird bei der Frage, ob das Institut der Ehe auch für gleichgeschlechtlich Liebende zu öffnen sei, wie es der Deutsche Bundestag kürzlich beschlossen hatte. Nicht Fisch und Fleisch nicht. Schwarz-Gelbe Moderne. Vorwärts in die Vergangenheit. Sich im Bundesrat zu enthalten, bedeutet, den vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen, da der Bundesrat immer mit der Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden muss und nicht nur die Ja gegen die Nein-Stimmen aufzählt. War es nicht Christian Lindner, der vor Kurzem noch laut tönte, er werde keine Koalitionsvereinbarung unterschreiben, die nicht die Ehe für alle enthalte? Ja. Soviel zum Haltbarkeitsdatum von Politikerstatements.

Das große “scharfe S”

Eszett. Nein, nicht der süße Schokoladenquatsch, dieser angebliche Brotbelag, Schokoschnitten. Nein. Das, wie sagte man früher, in der Volksschule, in den fünfziger Jahren?, das “scharfe s”. Genau. Das “scharfe s” gibt es seit Neuestem auch als Großbuchstabe. Das große “scharfe S” sozusagen. Das große Eszett. Offiziell. Beschlossen vom Rat für deutsche Rechtschreibung. Ist das nicht ein Meilenstein der Orthografie? Nun, optisch, finde ich, ist es eher nicht wirklich gut geraten. Mir kommt es vor wie ein verhunztes großes B. Es sei, so wird der große Rechtschreibrat in Mannheim zitiert, es sei “vor allem für die korrekte Schreibung von Eigennamen in Pässen und Ausweisen (…) wichtig”. Eigennamen wie Meißner beispielsweise. Wenn in einem Ausweis Namen in Großbuchstaben geschrieben werden, bleibe bislang unklar, ob die Menschen “Meissner” oder “Meißner” hießen. Jetzt aber ist es klar. Wir haben ja das große scharfe S. Die Meißners heißen Meißner. Punktum. Der große deutsche Rat für Rechtschreibung hat entschieden. Weise. Was machten wir nur ohne ihn? Meine Freundin und Kollegin Judith unterschriebe ihre Briefe vermutlich heute noch mit: Grusz, Judith. Ach halt, das ist ja das kleine scharfe s. Grusz, Wolfgang

 

Neunhundertundzwölf

Täglich einstündiger Schrittmacher- und Raucherlungensport auf dem E-Bike, das Wermelskirchener Stadtradeln im Team der örtlichen CDU (!) und ein viertägiger Urlaub auf den Radwegen entlang der Maas, der Waal und des Rheins gemeinsam mit meinem Sohn Palle – das war mein Radlermonat Juni. Neunhundertundzwölf Kilometer sind auf diese Weise zusammengekommen. Immerhin. Solche Kilometerzahlen erreiche ich normalerweise nicht ohne Auto. Die meisten Pedalumdrehungen galten einem guten, einem sehr guten Zweck, in der Mannschaft der CDU, beim Stadtradeln. Hier ging und geht es um den Klimaschutz sowie für eine verbesserte Radverkehrsförderung. Immerhin habe ich in den drei Stadtradelwochen, die schon im Mai begonnen hatten, knapp sechshundertsiebzehn von den eintausenddreihundertundsechsundzwanzig CDU-Kilometern zusammengeradelt. Sozusagen als rote Socke im schwarzen Team. Hier habe ich anfänglich einiges über das Zustandekommen dieser illustren Mannschaft geschrieben. Ich warte nur noch auf den gebührenden Abschluß der Radteamarbeit, das gemeinsame Bierchen auf den gemeinsamen Erfolg. Den allerbesten Zweck indes erfüllte der gemeinsame Kurzurlaub auf Rad und Handbike mit meinem Sohn Palle durch die holländisch-deutsche Grenzregion. Vier Tage, knapp zweihundertsiebzig Kilometer, vierunddreißig Grad Celsius am zweiten Tag, im Schatten wohlgemerkt, dort wo es keinen Schatten gibt, am Flussufer, eine Etappe von knapp einhundert Kilometern am dritten Tag ohne jegliche Blessur, leichter Nieselregen lediglich auf den letzten Kilometern vom Bahnhof Lennep nach Wermelskirchen über die Bahntrasse – kurzum ein wunderbarer Kurzurlaub. Das schreit förmlich nach Wiederholung. Oder?

Der Staat befindet nicht darüber, was natürlich ist

Die Tatsache, dass Alleinerziehung durch eine Mutter oder einen Vater inzwischen akzeptiert ist, wirft nicht zuletzt die Frage auf, weshalb an das Hinzutreten einer zweiten Erziehungsperson besondere biologische Qualifikationsanforderungen gestellt werden müssten. Das Eherecht sollte, mit anderen Worten, nicht mehr neben dem geschmacklosen Witz und der moralischen Hetze – „Homosexuelle tun dies und das, sind so und so“ – das letzte Refugium einer Sittenpolizei sein, die sich Bescheidwissen anmaßt. Der Staat befindet nicht darüber, was natürlich ist, er entscheidet im Bereich des gesellschaftlich Verträglichen. Redensarten wie die, es habe die Natur die Ehe hervorgebracht, um die Reproduktion der Arten zu garantieren, sind unfreiwillige Anträge auf abermaligen Biologieunterricht.

 Jürgen Kaube, Gleichgeschlechtliche Ehe. Man nennt das Freiheit, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom zweiten Juli Zweitausendundsiebzehn