Monat: August 2016

Zwischen Kölsch und Mölmsch und Flönz und Poschweck

Kennst du das Land, wo man unter anderem ostbergisch, ripuarisch, moselfränkisch, klever- und münsterländisch, siegerländisch-wittgensteinisch, mittelhessisch sowie kölsch und mölmsch spricht? Wo der höchste Berg 843,2 Meter misst und der niedrigste Punkt 9,2 Meter über Normalhöhennull liegt? Wo sie Sachen essen, die Poschweck, Halver Hahn, Himmel un Ääd, Pillekauken, Struwen oder gar Flönz heißen, welch Letztere in einer ihrer eigenen Sprachen “jet ähnlishet” ist “wie de Blotwoosch”? (…) Das fragliche Land ist das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen und feiert (…) seinen 70. Geburtstag. Alles Jode alsu zum Jebootsdag!, um es op Kölsch zu sagen.

Aus: Glosse. Streiflicht, in: Süddeutsche Zeitung vom dreiundzwanzigsten August Zweitausendundsechzehn

Franz, der blonde Richter und das verwahrloste Taxi

Bei meinem Lieblingsverleger gefunden, auf der Facebookseite von Ekkehard Faude. Wer den Titel Kneipen-Philosophien verlegt, in dem Stehcafé-Aphorismen, Bistro-Haikus und Gespräche am Nebentisch, vorwiegend aus Bayern von Thomas Glatz zu lesen sind, der kann kein schlechter Mensch sein.

hübsche spielerei vom ufer der tastaturen und aus dem land des übersetzens.

„…eine völlig verrückte Phrase, ein wirkliches Produkt der automatischen Schreibweise, die einmal, ein einziges Mal alle Buchstaben der Schreibmaschinen-Tatstur enthält: Portez ce vieux whisky au juge blond qui fume…“
//Anm.: „Bringen Sie diesen alten Whisky dem blonden Richter, der raucht“ – mit dem deutschen Äquivalent „Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern“ (A.d.Ü.)//
Roland Barthes; Variations sur l‘écriture. Variationen über die Schrift. Französisch-Deutsch. Übersetzt von Hans-Horst Henschen (Dieterich‘sche Verlagsbuchhandlung 2006)

Ach ja, das Kostpröbchen aus den Kneipen-Philosophien:

A: So is heid scho widdä Middwoch, morgn Donnerschdoch?

B: Morgn is Donnerschdoch.

A: Morgn is Donnerschdoch.
Also.
Adela.

B: Dschüssla.

A: Adee.

Heidenspaß statt Höllenqualen: Unterhaltsame Religionskritik

Einem Bekannten, fest verankert und aktiv in einer evangelischen Kirchengemeinde hier um die Ecke, verdanke ich dieses formidable Fundstück. Phillip Möller, der aufklärende Entertainer und Pädagoge, ist Pressereferent bei der Giordano Bruno Stiftung. Hier geht es zum Video der kompletten Veranstaltung “Ohne Religion wäre die Welt besser dran”.

Zuhören, ein subversiver Akt

“Zuhören ist Hören in Verbindung mit Denken und Konzentration”, sagte einmal Daniel Barenboim im Gespräch mit Evelyn Roll für die Süddeutsche Zeitung, “die meisten Menschen können das gar nicht mehr. Sie machen keinen Unterschied zwischen Hören und Zuhören.” Hören, das wäre einfach nur, die Geräusche oder Töne wahrzunehmen – Zuhören verlangt dagegen ein Sich-Einlassen auf das, was zu hören ist, was gespielt oder gesagt wird, und es verlangt, das Gehörte gedanklich mit nachzuvollziehen. Erst durch das Zuhören tritt das Eigene für einen Augenblick zurück und öffnet sich für ein neues Thema, einen neuen Gedanken, eine neue Welt. Das Zuhören impliziert die Bereitschaft, sich auf die Gedanken, die Interpretation, die Perspektive eines anderen einzulassen. Ohne umgehenden Widerspruch. Ohne die Anmaßung, es prinzipiell besser zu wissen. In Zeiten, in denen eine fragmentierte Öffentlichkeit vor allem das möglichst laute, möglichst enthemmte Propagieren der eigenen Überzeugungen fördert, in denen alle sich selbst ernst nehmen, aber nicht mehr den anderen, ist das Zuhören schon fast ein subversiver Akt. Und eben nicht allein, sondern mit anderen zusammen sich auf etwas zu konzentrieren, auch das ist selten geworden, seit die Bedingungen und Möglichkeiten des gemeinsamen Erlebens einer gemeinsamen Welt ausgehöhlt wurden.

Carolin Emcke, Kolumne: Zuhören, in: Süddeutsche Zeitung vom dreißigsten Juli Zweitausendundsechzehn

Das Wort zum Sonntag: “Welt gewinnen – Seele verlieren”

Pastor Alfred Buß hat es gesprochen, gerade eben, das allsamstägliche Wort zum Sonntag in der ARD. Um Olympia ging’s, um den Fisch, der vom Kopf her stinkt. Darum, wie man seine Seele verkauft, weil die Spiele ausgeliefert werden. An Politik, an nationale Interessen, an den Kommerz.

Seit Melbourne 1956 bin ich dabei, erst am Radio, bald am Fernseher, nicht selten ging’s bis in die Nacht. Nun geht Olympia 2016 in die Schlusskurve. Mit spannenden Entscheidungen in Staffelläufen, Endspielen und vielem mehr. Gleich Fußball Brasilien – Deutschland. Großartig ist die olympische Idee: Rivalitäten austragen in sportlich-fairem Wettstreit, im Geiste von Völkerverständigung und Toleranz. Doch spätestens mit Rio wurde mir klar: Wer das noch so glaubt, der muss selber gedopt sein. Meine Begeisterung bekam einen deutlichen Knacks. Die olympischen Idee hat ihre Seele verloren. Viele Illusionen sind ja schon lange geplatzt. Dabeisein ist längst nicht mehr alles. Die olympischen Sportler stehen unter erheblichem Druck. Nur wer erfolgreich ist, wird oben bleiben und großes Geld verdienen. Schon wer Vierter wird, erringt nur die “Holzmedaille”. Schon immer wird Olympia von der Politik vereinnahmt. Und auch Doping verzerrt die sportliche Fairness schon lange. Doch schienen das alles hereingetragene Probleme zu sein, die in Gegensatz standen zur olympischen Idee und ihrem Regelwerk. Aber jetzt stinkt der Fisch vom Kopf her: Doping ist für das IOC – und seinen Präsidenten Bach – offenbar zur lässlichen Sünde geworden. Ausgeschlossen von Olympia aber wurde Julia Stepanowa, die offenlegte, wie Staatsdoping geht. Ausgeschlossen wegen angeblicher ethischer Defizite. Der größte Verstoß gegen die olympische Idee ist jetzt wohl Zivilcourage. Die Botschaft an die Olympioniken ist klar: Klappe halten – oder ihr fliegt raus. Was hülfe es dem Menschen – so fragte Jesus, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? The show must go on. Für Rio 2016 wurden Zig-Tausende aus ihren Hütten vertrieben. Favelas mussten weichen. Brasilien bezahlt die Party aus Steuergeldern, den Gewinn aber streicht nicht das brasilianische Volk – den streichen andere ein. Die olympische Idee hat ihre Seele preisgegeben. Sie wurde verkauft. Die Welt gewinnen – aber die Seele verlieren. Das ist der Knackpunkt. 1960 in Rom gewann ein 18-jähriger die Goldmedaille – als Boxer im Halbschwergewicht. An ihn will ich erinnern. Der weigerte sich, seine Seele preiszugeben. Wurde Boxweltmeister. Legte seinen Namen ab, der aus der Sklavenzeit kam. Wurde Muslim. Nannte sich Muhammad Ali. Verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam. Verlor daraufhin die Box-Lizenz und alle Titel. Sollte gar ins Gefängnis. Und blieb doch unbeirrbar im Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte. Als er jetzt im Juni starb, verneigte sich die Welt vor ihm. Zehntausende säumten die Straßen von Louisville, als sein Leichnam durch seine Heimatstadt gefahren wurde. Die Menschen spürten: Hier hatte sich einer geweigert, seine Seele preiszugeben, zeitlebens. Auch Jesus hatte wohl seine Freude an ihm. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Vergessen wir diese Frage Jesu nicht. Erst recht nicht, wenn es heute und morgen noch die letzten Medaillen regnet.