Hinten, weit in der Türkei …

Einfache Lösungen gibt es nicht. Das liegt nicht etwa daran, dass, wie Peter Gauweiler behauptet, das geltende Recht außer Kraft gesetzt worden wäre, sondern wohl eher daran, dass es sich dem Realitätsdruck der Krise nicht gewachsen zeigt. Das Schengen-Abkommen, der Asylkompromiss von 1992, der Vertrag von Lissabon und Dublin II haben dem Exportweltmeister Deutschland erlaubt, es sich in einem Krähwinkel weitab von Konflikten „hinten, weit in der Türkei“ gemütlich zu machen. Jetzt wird es nicht von „Strömen“ überrannt, sondern sieht sich mit einer Realität konfrontiert, die die Bundeskanzlerin bei ihrem Grußwort zum Gewerkschaftstag der IG Metall mit den Worten beschrieb: „die Globalisierung tritt sozusagen in unser eigenes Haus hinein.“ Das ist eine nüchterne Sachverhaltsbeschreibung, die ihre Politik besser beschreibt als auf sie projizierte Gefühlsregungen. Die leitende Angestellte in später Nachfolge des Hamburger Weltökonomen beschreibt die Lage, wie sie ist. Andere erwecken den Eindruck, als wollten sie sich vor ihr wegducken und als sei das eine Lösung. Peter Gauweilers Idee, dass jedes Land seine eigenen Grenzen schützen können muss, hält als Norm dem Realitätsdruck nicht stand. (…) Immer deutlicher gelangt eine Kette von Versäumnissen in den Blick: dass es keine europäische Asyl- und Migrationspolitik gibt, dass es auch nach Jahrzehnten des Debattierens kein deutsches Einwanderungsgesetz gibt, dass Deutschland seinen Zahlungsverpflichtungen für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen nicht nachkommt, dass auch getroffene Beschlüsse viel zu langsam umgesetzt werden. (…) Der Politik Kontrollverlust vorzuwerfen, verkennt ihre tatsächliche Herausforderung, erzeugt als Boulevard-Trick die irrige Hoffnung, dass lautstarke Kontrollversprecher etwas besser regeln könnten als diejenigen, die sich redlich darum bemühen, der Lage gerecht zu werden. So bleibt am Ende die Hoffnung, dass sich die gemeinsamen Werte des Grundgesetzes und der Europäischen Union als belastbarere Grundlage für das politische Management der Krise und ihre Umsetzung in ordentliche Verwaltung bewähren.

Hans Hütt, Deutschlands Erfolg hat seinen Preis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom sechsundzwanzigsten Oktober Zweitausendfünfzehn

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