Monat: Juni 2015

Spitzbuben

“Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, dass die Advocati wollene schwarze Mäntel, welche bis unter das Knie gehen, unserer Verordnung gemäß zu tragen haben, damit man diese Spitzbuben schon von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten kann.”

Aus einem Edikt des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm I., aus dem Jahr Siebzehnhundertsechsundzwanzig

Achtung

“Eine Kultur zeichnet sich nicht nur dadurch aus, was man in den Museen sieht und in den Opernhäusern hört; Kultur hat vielmehr damit zu tun, wie wir Menschen miteinander umgehen; wie setzen wir uns, wie hören wir einander zu, wie zeigen wir uns unsere Achtung.”

Stefan Kaluza, 30 Keller. Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2014, Seite 51

Fiasko

Wenn eine solche Peinlichkeit bei prominenten Mitgliedern Erleichterung auslöst muss eine Partei in einem verheerenden Zustand sein. Die AfD hat ihren Bundesparteitag abgesagt, weil in drei Landesverbänden die Delegierten unter vielleicht zweifelhaften Umständen gewählt wurden. Das ist ein Fiasko für die AfD, die so gern als Partei der rechtschaffenen Bürger gesehen würde. Der Parteitag Mitte Juni sollte die Entscheidung im Kampf zwischen den Flügeln erbringen. Nun steht vorerst nur fest, dass die AfD nicht mal den eigenen Laden anständig organisiert.

Jens Schneider, AfD. Freude über ein Fiasko, in: Süddeutsche Zeitung vom dritten Juni Zweitausendundfünfzehn

Wer die Wahl hat. Miszellen.

Ein paar Tage sind es noch, dann haben wir wieder die Wahl. Die Wahl eines Bürgermeisters steht an. Früh, früh genug, hatte der amtierende Bürgermeister, Eric Weik, bekanntgegeben, daß er nach elf Jahren im Amt nicht ein weiteres Mal antreten werde. Und also war da Zeit genug, daß sich die Parteien, zuvörderst die Partei, die schon lange mit den Hufen gescharrt hatte, die unbedingt zurück ins angestammte Bürgermeisteramt wollte, früh mit respektablen Kandidaten dem wartenden Wahlvolk präsentieren werde, damit sich dieses mit dieser so wichtigen Entscheidung beizeiten werde auseinandersetzen können. Und der Berg kreißte. Jetzt muß sich das Wahlvolk mit vier Kandidaten plagen. Fangen wir hinten an. Beim letzten Kandidaten. Zeitlich gesehen ist der letzte Kandidat der der Partei Die Linke. Löblich, finde ich, daß diese Partei einen eigenen Kandidaten aufgestellt hat und sich nicht hinter ihre Chancenlosigkeit duckt. Mit einem eigenen Kandidaten wahrt sie ihre Chance, an den politischen Debatten teilzunehmen, ihre Politik zu präsentieren, ihre Partei, ihr Programm, auf sich aufmerksam zu machen. Den Bürgermeister stellen wird die Partei Die Linke in absehbarer Zeit in Wermelskirchen nicht. Und doch hat sie, haben die Linken in Wermelskirchen mehr vom Wesen der Demokratie begriffen als etwa die AfD, die als allererste Partei angekündigt hatte, mit einem eigenen Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl antreten zu wollen, und später sang- und klanglos die Segel gestrichen hatte. Auch die WNK  macht sich keine Mühe mit eigenen Kandidaten. Als Abspaltung, als Fleisch vom Fleisch der CDU will der Wahlverein wohl die Chancen der von den Christdemokraten erkorenen Bürgermeisterhoffnung nicht schmälern. Sie unterstützen Stefan Leßenich und werden hernach dem Wahlsieger ihre Rechnungen zu präsentieren wissen. Das Übliche. Stefan Leßenich. Der stellvertretende ehrenamtliche Bürgermeister soll Eric Weik nachfolgen. Die Hammerkandidatur der örtlichen Christdemokraten. Wie gesagt, der Berg kreißte. Bei einigen Gelegenheiten habe ich mir Wahlkampfauftritte angesehen. Mein erstes Urteil muß nicht revidiert werden. Der ideale Gesamtschwiegersohn ist ganz gewiss freundlich und sehr nett und zugewandt. Ob er aber eine mittelgroße Verwaltung führen kann, bleibt für mich fraglich. Aus seiner beruflichen Vita kann man derartige Leitungsqualifikationen nicht entnehmen. Ob er über politische Statur verfügt, über politische und gesellschaftliche Visionen, kluge Leitbilder, scheint ebenfalls noch nicht ausgemacht. Womöglich reiben sich die “political animals” im Rat schon die Hände. Rainer Bleek hat für die SPD seinen Hut in den Ring geworfen. Er hat die Wahl überhaupt erst zu einer Wahl gemacht. Denn ursprünglich, so war der SPD-Fraktionsvorsitzende im Wermelskirchener Rat nach der Erklärung von Eric Weik öffentlich zu vernehmen, hatte die SPD prüfen wollen, ob sie nicht die Kandidatur des CDU-Favoriten unterstützen werde. Rainer Bleek indes hat als Vorsitzender des sozialdemokratischen Ortsvereins das Heft des Handelns in die Hand genommen und deutlich gemacht, daß eine Entscheidung von derartiger Tragweite nicht in der Fraktion getroffen werden darf, sondern vom ganzen Ortsverein getragen werden muß. Hut ab und in den Ring damit. Ohne die Kandidatur eines sozialdemokratischen Gegenkandidaten hätten wir Bürger womöglich einen Bürgermeister per Akklamation wählen können. Gleichwohl: Ein Kandidat, der, mit all seinen Führungserfahrungen, nach nur einer Bürgermeisteramtszeit das Rentenalter erreicht haben wird, zeugt nun nicht gerade von einer zukunftsfesten Entscheidung der hiesigen Sozialdemokraten. Vertan, vertan, sprach der Hahn. Erst dieser zweite Kandidat hat auch den Dritten im Bunde noch möglich gemacht. Marc Diluweit, parteilos, tritt als unabhängiger Kandidat an, der von der FDP und dem Bürgerforum unterstützt wird. Da klingt einiges ganz interessant. Wirtschaftsanwalt mit Führungserfahrung. Aber dann. Eine große Wahlveranstaltung, eine sehr große, mit vielen unterschiedlichen Fragen an den Kandidaten. Aber: Keine einzige Antwort, die man so nicht auch von Stefan Leßenich oder Rainer Bleek hätte hören können. Mainstream. Die personifizierte Unverbindlichkeit, bloß nicht anecken, bloß keine Ecken und Kanten zeigen, bloß keine eigenes, spannendes Profil darbieten. Nein. Wirtschaftsanwalt mit Führungserfahrung, das alleine reicht nicht. Kurzum: Die Parteien bieten den Bürgern ein Personaltableau dar, das den schwierigen und komplizierten Problemen, vor denen Stadt und Bürger stehen, nicht wirklich gerecht wird. Ein netter junger Mann ohne Leitungserfahrung, ein Mann mit Führungsqualitäten, der indes die Stadt nicht lange genug wird führen können, ein Wirtschaftsanwalt, der im politischen Mainstream mitschwimmt, ohne wirklich aufzufallen, und schließlich ein linker Kandidat, der bei öffentlichen Auftritten sehr authentisch wirkt, aber bei den gegebenen politischen Verhältnissen nicht wirklich eine Chance hat. Keine Frau. Keine jüngere Frau. Keine Kandidatin mit Gegenwart und Zukunft. Keine Person, die vermittels ihrer persönlichen Eigenschaften das Lagerdenken und die Bunkermentalität der lokalen Parteien hätte überwinden können. Kein Kandidat, der erkennbar die Zukunft gestalten und meistern könnte. Schade. Die Parteien haben eine Chance vertan. Alle Parteien.

Mandatsklau, die nächste

Da wird jemand gewählt bei der letzten Kommunalwahl. In den Stadtrat. Für die Partei „Alternative für Deutschland”. Am Tag nach der Wahl habe ich hier geschrieben: “Was bleibt noch? Ach ja, die frechen jungen Männer von der Alternative. Für ganz Deutschland. Die lokalen Gegenstücke zur Altmännerriege um Henkel und Starbatty im Bund und in Europa.Sie haben gewonnen. Weil sie in den Stadtrat eingezogen sind. Mit nicht einmal fünf Prozent. Und sie haben verloren, weil sich die allzu süßen Blütenträume schon zerstoben haben. Sie haben weniger erreicht als bei den Europawahlen, weniger als im Bund. So frech wie in verschiedenen Facebookgruppen sollten sie demnächst nicht mehr auftreten. Sonst könnte schneller wahr werden, was ohnehin zu ahnen ist. Rechtspopulismus ist eine vorübergehende Erscheinung. Wir haben schon schlimmere Zeitgeister überstanden, Republikaner, Nationaldemokraten, Pro Irgendwas …” Einerlei. Seither sitzen nun zwei AfDler im Rat der Stadt. Saßen. Denn nun, soeben ist Andreas Müßener ausgetreten, aus der Fraktion. Er hat die Zusammenarbeit mit dem Fraktionsvorsitzenden, wie immer die ausgesehen haben mag, aufgekündigt, wie es heute in einer sehr dürren Pressemitteilung der hiesigen AfD heißt. Hübsche Formulierung. Zusammenarbeit aufgekündigt. Aus dem Satzbaukasten der bürokratisch gestanzten Rede. Eine sprachliche Nebelkerze. Nichtssagend. Bla-Bla. Das alles aber ist nicht wirklich mein Bier. Sollen sie doch streiten. Aufkündigen, wenn’s geht, es lassen mit dem Aufkündigen. Alles nicht wirklich wichtig. Viel wichtiger ist, daß es sich bei einem Stadtverordneten auch der AfD um einen Stadtverordneten aller Bürger in dieser Stadt handelt. Andreas Müßener hat sich bislang jedoch mit nichts hervorgetan. Nichts, was in der Öffentlichkeit bemerkt worden wäre, nichts, was den Zeitungen eine Meldung wert gewesen wäre, nichts, was die Aufmerksamkeit von Bürgern hätte finden können. Was bleibt? Andreas Müßener hat die Fraktion der AfD zerdeppert. Im Wortsinn. Das haben die Wähler der AfD nicht verdient. Sie haben eine Fraktion aus zwei Menschen gewollt und auch bekommen. Bis gestern. Bis Andreas Müßener salbaderte, er müsse die Zusammenarbeit mit dem Fraktionsvoristzenden aufkündigen. Und, ganz politischer Schlaumeier, in der Tradition bürgerlicher Mandatsräuber feststellte, er werde fortan ein Einzelmandat ausüben. Ich habe keine Ahnung, was diesen Menschen befähigt, im Stadtparlament für das Gemeinwohl zu arbeiten. Ich war an seiner Aufstellung nicht beteiligt. Bislang aber habe ich auch keine Kenntnis von auch nur einer bemerkenswerten Einschätzung, Handlung, Initiative. Nach den Regeln der Bürokratie mag feststehen, daß Andreas Müßener sein Mandat behalten kann. Nach den Regeln des politischen Anstands wäre allerdings das Gegenteil fällig, nämlich der Rücktritt vom Mandat. Das hat der Herr Müßener ja nicht bekommen, weil er so nett wäre, so klug, so anziehend, so überzeugend. Nein, das Mandat hat er bekommen, weil ihn seine Kumpane für die Wahl aufgestellt, weil sie ihn gewählt haben. Jetzt will er nicht mehr, jetzt kann er nicht mehr zusammenarbeiten, jetzt gibt es Krach. Also soll er auch gehen. Der Mandatsklau ist schon bei bürgerlichen Parteien nicht wirklich akzeptabel. Bei Rechtspopulisten ist er, finde ich, ebenso unappetitlich wie neulich der Mandatsklau bei den Linken. Er zeugt von grandioser Selbstüberschätzung. Solange Andreas Müßener nicht über Wasser gehen kann, solange er also noch zu den ganz normalen Menschen zu rechnen ist, solange sollten auch die Maßstäbe des Anstands und der Demokratie für ihn gelten. Ein schwieriges Geschäft, diese Demokratie.

Nachtrag: Ach ja, diesen Beitrag habe ich dort, wo es ging, Wort für Wort übernommen von meinem Beitrag, der sich mit dem Mandatsklau auf der Seite der Linken befaßte. Geändert habe ich nur die Namen, den Namen der Partei und die Begründungen für den Mandatsraub. Man kann schon ins Grübeln kommen angesichts der Anstandslosigkeit, die sich innerhalb nur weniger Wochen auf der vermeintlich linken wie auf der rechten Seite offenbart. Eitle junge Kerle glauben in der Tat, daß Ihnen ein solches Mandat zustehe, obwohl sie doch nichts geleistet haben, was einen solchen Glauben nähren könnte.

Ketten im Kopf oder kannibalische Weltordnung

Im Videotext kann man noch Fundsachen aufspüren. Beispielsweise eine Philippika des Beraters des UN-Menschenrechtsrats, des einundachtzigjährigen Schweizers Jean Ziegler. Auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt, so wird Ziegler zitiert, sterbe alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger. Diese “kannibalische Weltordnung” sei ein Skandal. Angela Merkel, Francois Hollande oder Barack Obama seien nicht mehr fähig, frei zu denken, sondern hätten “Ketten im Kopf”. Ziegler ist Gastredner auf dem alternativen G7-Gipfel heute in München.