Würde

Wenn ich einen einzelnen Tag, ein einzelnes Ereignis, eine einzige Geste benennen wollte, für die in der deutschen Nachkriegsgeschichte das Wort Würde angezeigt scheint, dann war es – und ich bin sicher, daß eine Mehrheit im Bundestag, eine Mehrheit der Deutschen und erst recht eine Mehrheit dort auf der himmlischen Tribüne mir jetzt zustimmen werden – dann war es der Kniefall von Warschau. (…)  Dieser Staat hat Würde durch einen Akt der Demut erlangt. Wird nicht das Heroische gewöhnlich mit Stärke assoziiert, mit Männlichkeit und also auch physischer Kraft, und am allermeisten mit Stolz?  Hier jedoch hatte einer Größe gezeigt, indem er seinen Stolz unterdrückte und Schuld auf sich nahm – noch dazu Schuld, für die er persönlich, als Gegner Hitlers und Exilant, am wenigsten verantwortlich war –, hier hatte einer seine Ehre bewiesen, indem er sich öffentlich schämte, hier hatte einer seinen Patriotismus so verstanden, daß er vor den Opfern Deutschlands auf die Knie ging.

Aus der Rede von Dr. Navid Kermani anläßlich des fünfundsechzigsten Geburtstages des Grundgesetzes 

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