Monat: November 2013

Gemütsmassage

Eine republikweite Gemütsmassage findet derzeit statt. Kaum ein Medium, das sich nicht beteiligt, kaum eine Zeitung, kaum ein Radiosender, kaum eine Fernsehstation, die sich nicht ums Gemüt der Sozialdemokraten mühen, jedenfalls der Sozialdemokraten, die Mitglied in der SPD sind. Auf der einen Seite wird der demokratische Charakter des Mitgliederentscheids der SPD bestritten. Schließlich hätten sich doch Millionen Wähler für eine große Koalition ausgesprochen, da könne über die Koalitionsvereinbarung, den GroKoDeal, doch nicht von nur vierhundertsiebzigtausend Mitgliedern der SPD befunden werden. Und auf der anderen Seite gibt es den unablässigen Appell an die SPD-Mitglieder, jetzt der staatspolitischen Verantwortung gerecht zu werden, was immer das auch sein mag. Die große Koalition, so ist allenthalben zu hören und zu lesen, sei die ultima Ratio der Stabilität in Deutschland und in diesem Sinne auch alternativlos. Nachdem ich gestern über den Livestream von Phönix einen Teil der Regionalkonferenz Hessen Süd der SPD zur Koalitionsvereinbarung verfolgen konnte, hege ich keinen Zweifel mehr, daß eine ansehnliche Mehrheit für die große Koalition zustande kommen wird. Das rhetorische Geschick des Vorsitzenden wird so manchen noch zweifelnden SPD-Genossen, wenn nicht überzeugen, dann doch jedenfalls zu einem halb- oder viertelherzigen Ja zur Vereinbarung mit den bayerischen Christsozialen und den gesamtdeutschen Christdemokraten bewegen. Das jedenfalls war gestern auf Phönix schon zu besichtigen. Und in diesem Sinne sind auch jene Journalisten zu verstehen, die nicht müde werden, der SPD einen großen Sieg in den Verhandlungen über die vereinten Christdemokraten zu attestieren. Die SPD habe sich in den Koalitionsvereinbarungen durchgesetzt und weit mehr erreicht, als es ihrem Stimmenanteil von etwa einem Viertel zukomme. CDU/CSU hingegen, denen ja nur fünf Bundestagsmandate zur absoluten Mehrheit fehlen, hätten ihre Handschrift in den Vereinbarungen nicht kenntlich machen können. Das Ganze wird dann noch unter den Oberbegriff der Sozialdemokratisierung gestellt. Die Große Koalition aber ist eine übergroße Koalition. Die parlamentarische Opposition wird von nur noch zwanzig Prozent der Bundestagsabgeordneten geleistet werden müssen. Und die Wahrung der Oppositionsrechte wird vom Wohlwollen der drei Koalitionsfraktionen abhängig sein. “Eine starke Demokratie braucht die Opposition im Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Minderheitenrechte im Bundestag schützen.” Auf Seite einhundertvierundachtzig der Koalitionsvereinbarung ist das zu lesen, daß die Regierungsfraktionen auch das Geschäft der Opposition noch im Auge haben werden. Unter staatspolitischer Verantwortung verstehe ich das genaue Gegenteil einer übergroßen Koalition. Warum wurde nicht gründlicher und offen über eine Möglichkeit gesprochen, die das Wahlergebnis geradezu auf dem Tablett servierte, nämlich eine Minderheitsregierung der CDU/CSU. Wenn die SPD die Option einer knappen rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag nicht ernsthaft bedenken wollte oder konnte, wäre die knappe Minderheitsregierung der Christdemokraten und der Christsozialen aber staatspolitisch durchaus eine bedenkenswerte Alternative. CDU und CSU haben die Bundestagswahl gewonnen. Eindeutig. Angela Merkel hat ihren Anspruch auf eine weitere Amtszeit als Bundeskanzlerin bei den Wählern durchgesetzt. Die SPD hat die Wahlen verloren. Eindeutig. Nur einem Viertel der Wähler erschien im September die SPD samt Programm und Personal als regierungstauglich. Und die Wähler wählen keine Koalitionen. Sie wählen Parteien. Wegen ihres Programms, ihrer Politik und oder oder wegen ihres Personals. In die Regierung kann man sich zwar hineinverhandeln. Über Beratungen zur übergroßen Koalition. Dem Wählerwillen entspricht dies indes nicht. Mehr Demokratie wagen. Das kluge Motto aus der ersten Regierungserklärung eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers ist nach vierundvierzig Jahren aktueller denn je. Mehr Demokratie wagen, das könnte heutzutage das Wagnis bedeuten, sich auf Verhältnisse einzulassen, die in anderen europäischen Demokratien durchaus üblich sind, die von den Wählern immer mal wieder herbeigewählt werden und keineswegs eine Gefahr für die demokratische Grundstruktur und Verfassung des Landes darstellen. “Eine Minderheitsregierung, in der von Fall zu Fall um soziale und ökologische Lösungen gerungen wird, könnte ein solches Wagnis sein. Die Abgeordneten wären vom Fraktionszwang in bestimmten Fällen entbunden und frei, ihren Sachverstand zu gebrauchen. Ihr Mandat bekäme einen anderen Charakter, gebunden an die Wähler, nicht an die Parteidisziplin. Vorgaben der Regierung wären nicht mehr alternativlos. Dies würde eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur bedeuten. Und das wäre gut so.” So Daniela Dahn in der heutigen Ausgabe des Freitag, unter dem schönen Titel: Mehr Streit wagen. Stattdessen sieht die Koalitionsvereinbarung auf Seite einhundertvierundachtzig vor, daß “im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien (…) die Koalitionsfraktionen einheitlich ab(stimmen). Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen. Über das Verfahren und die Arbeit im Parlament wird Einvernehmen zwischen den Koalitionsfraktionen hergestellt. Anträge, Gesetzesinitiativen und Anfragen auf Fraktionsebene werden gemeinsam oder, im Ausnahmefall, im gegenseitigen Einvernehmen eingebracht. Die Koalitionsfraktionen werden darüber eine Vereinbarung treffen.” Mehr Demokratie wagen? Die Abstimmungsguillotine wird sicher alsbald im Berliner Reichstag zu besichtigen sein. Wolfgang Bosbach wird sich, um seinen politischen Hals zu retten,  dann entscheiden müssen, ob er weiter den von der (Regierungs-)Linie abgefallenen Helden gibt, der Ronald Pofalla immer noch die Stichworte liefert, wenn es in die nächste Runde Europarettung geht. Die Stabilität der Regierung stehe und falle mit der Mehrheit im Parlament, heißt es immer wieder. Nun ja, die gewesene schwarz-gelbe Regierung hatte eine satte parlamentarische Mehrheit. Aber der Hort politischer Stabilität war sie wohl kaum. Der Einheitlichkeitszwang, sozusagen die “formierte Gesellschaft” (Ludwig Erhard) der übergroßen Koalition, ist das schiere Gegenteil von mehr Demokratie. Nämlich Einheitszwang, imperatives Mandat unter dem fadenscheinigen Deckmantel politischer Stabilität. „[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ So regelt das der Artikel 38 des Grundgesetzes. Der Abgeordnete ist bei seiner Entscheidung lediglich seinem Gewissen verpflichtet. Fraktionsdisziplin heißt das Zauberwort, mit dem abweichende Auffassungen, Minderheitenvoten unterdrückt werden können. Und die Autoren der Koalitionsvereinbarung schreiben fest, daß die Koalitionsdisziplin das Abgeordnetengewissen fest im (Würge-)Griff hat. Abweichende Meinungen sind nicht vorgesehenen in der übergroßen Koalition. Einer Koalition, die sich auf weit mehr als eine Zweidrittelmehrheit im Parlament stützen kann. Das gespenstisch-bequeme “Durchregieren” wird sie kennzeichnen, die  übergroße Koalition. Kein nennenswerter Widerspruch in den eigenen Reihen und zwei nur in sehr engen Grenzen oppositionsfähige Fraktionen auf der anderen Seite. Diese steinernen Verhältnisse hätte man mit einer Minderheitsregierung der vereinigten Christsozialen und -demokraten durchaus zum Tanzen bringen können, wie Daniela Dahn im Freitag ausführt: “Das Parlament würde nicht mehr zum sprichwörtlich gewordenen Vollzugsorgan des Kanzleramtes verkommen. Das Mitregieren käme nicht aus dem Koalieren, sondern aus dem Opponieren. So wäre die Regierung zu flexiblen Reaktionen gezwungen. (…) Beständigkeit in der Politik wird im Wesentlichen an der Außen-, Sicherheits- und Fiskalpolitik gemessen. Auf diesen Gebieten gab es in den vergangenen Jahren – leider mag man in vielen Fällen sagen – de facto sowieso schon eine Große Koalition. Die Sozialdemokraten haben die Euro-Rettungsschirme, die Afghanistan-Einsätze, den auch aus Deutschland kommenden Drohnentod, die diplomatischen Rücksichten gegenüber der NSA und vieles mehr mitgetragen. Das würde so weitergehen. (…) In diesem Sinne bliebe das Land durchaus stabil.” Mehr Demokratie wagen. Die übergroße Koalition ist keine Übung in mehr Demokratie. Die Mitgliederbefragung in der SPD dagegen ist eine solche Übung. Keine der an der Koalitionsvereinbarung beteiligten Parteien hatte zunächst im Sinn, gemeinsame Sache zu machen, eine Koalition zu bilden. Angetreten sind sie alle, um mit ihrem Programm und ihrem Personal Mehrheiten zu erringen. Koalitionen werden nicht gewählt. Die CDU hat fast die absolute Mehrheit erzielt, ihr geborener Koalitionspartner FDP dagegen wurde vom Wähler aus dem Parlament geworfen. Parteien werden gewählt (oder nicht gewählt) und Koalitionen werden nach der Wahl von Parteien gebildet, ohne daß der Wähler noch einmal bestätigend oder korrigierend eingreifen könnte. Und: Koalitionen werden normalerweise von den Parteispitzen abgesegnet. Den Vorständen. Mitunter auch von Parteitagen oder anderen Zirkeln. Beteiligt sind mithin zwischen wenigen Dutzend Parteioberen und wenigen Hundert Delegierten. Und nun soll eine Befragung von allen Mitgliedern einer Partei, vierhundertsiebzigtausend an der Zahl, demokratische Regeln und Standards verletzen? Geht’s noch? Die scheuklapprig-schludrig geführte öffentliche Debatte ist kein Meisterstück politischer Argumentationskunst. Allzu durchsichtig die partikularen Interessen.

 

Ausstellung: Stoffläppchen mit Blutstropfen

Gehts noch? Ab dem neunten Dezember soll eine weitere Reliquie den Besucheransturm auf den Kölner Dom steigern: Ein Stoffläppchen mit einem Blutstropfen des kürzlich erst selig gesprochenen Papstes Johannes Paul II. wird ausgestellt, wie der Wermelskirchener Generalanzeiger heute meldet. Und die Vernunft wird bloßgestellt.

Reliquie

Opium des Volkes

Ich bin nicht sicher, ob ich es für einen Fortschritt halten soll, wenn sich Christen, Muslime, Juden, Anglikaner, Buddhisten, Satanisten, Hinduisten, Zeugen Jehovas, Adventisten, Sonnenanbeter, Hussiten, Quäker, Baptisten, Druiden oder Rosenkreuzer jeweils eigene sozialdemokratische Plattformen geben.

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(Aus: Vorwärts)

Karl Marx war es, der in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie Religion als „das Opium des Volkes“ bezeichnete. Alle Religionen. Große wie kleine. Bekannte und Unbekannte. Nette oder Garstige. Soziale wie Gemeine. Koks und Schnee. Für die Nase, nicht den Kopf.

 

Tag der Philosophie

Was will uns das am Tag der Philosophie nur sagen?

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Mit der Abkürzung VEAB ist, nein: war ein Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb bezeichnet. Sperrig. Wie vieles “drüben”. Aber jeck, oder?

Eines der Themen des heutigen Tages ist das philosophische Nachdenken über Zukunft, über Nachhaltigkeit: Können wir Prognosen über die Zukunft machen? Wenn wir doch unsere Vergangenheit schon nicht verstehen und deuten können.

Nordkoreanische Wahlergebnisse

Versammlungen von Gruppen oder Vereinen, von Parteien allemal, sollten terminlich nur festgelegt werden, nachdem man zuvor den Rahmenterminkalender des Deutschen Fußballbundes konsultiert hat. Das ist mein Ceterum Censeo, seit ich Gastmitglied und hernach ordentlicher Genosse der hiesigen SPD geworden bin. Allein: Auch die ständige Mahnung bleibt folgenlos. Die Vorstandsgenossen der Wermelskirchener Sozialdemokratie, auch jene, von denen ich sicher weiß, daß sie an Fußball interessiert sind, sehr interessiert sind, ignorieren den mahnenden Hinweis konsequent. Während also die deutsche Fußballnationalmannschaft gestern Abend im Wembleystadion gegen die englischen Kicker ihr letztes Länderspiel in diesem Jahr absolvierte, erfolgreich und ansehnlich zudem, mühten sich die lokalen SPD-Mitglieder, übrigens in bemerkenswerter Anzahl erschienen, eine formal unanfechtbare Aufstellung der Kandidaten für die kommende Kommunalwahl vorzunehmen. Und viele Genossen hatten, wie ich, das Bedürfnis, dem Kick televisionär beizuwohnen. Kein Wunder also, daß die Ergebnisse der verschiedenen Wahlgänge nordkoreanische Dimensionen annahmen. Debatten wurden aufs Nötigste beschränkt, gewählt wurde einstimmig, nur höchst selten verirrte sich eine Gegenstimme in die Urne, vermutlich von jemandem, der Gesprächsbedarf hatte und keinen TV-Bedarf. Kaum jemand der Genossen konnte sich an eine ähnlich reibungslose Mitgliederversammlung und Kandidatenaufstellung in den letzten Jahren und Jahrzehnten erinnern. Was von einigen dann als wünschenswerte “Geschlossenheit” der Partei gewertet wurde, ist vielleicht eher Ergebnis eines perfiden Kalküls: Tage bis kurz vor Anpfiff eines Länderspiels und sei gewiß, daß die Debatte kaum kontrovers und ausufernd ausfallen wird. Der lokale SPD-Vorstand ist offenbar mit allen Wassern gewaschen. Mit dem Anpfiff war übrigens die umfangreiche Tagesordnung abgearbeitet und die Genossen konnten sich ihrer (un)heimlichen Obsession widmen.

Schicksalstag

Neunter November. Von vielen wird er “Schicksalstag” geheißen. Ich habe keine Ahnung, was ein Schicksalstag denn wirklich sein könnte. Auffallend ist nur, daß an eben jenem neunten November ganz unterschiedliche, aber bedeutsame Ereignisse in Deutschland stattfanden. Den meisten dürfte der “Mauerfall” vor vierundzwanzig Jahren noch erinnerlich sein. “Das tritt nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich.” Günter Schabowski löste, mit und trotz verschrobener Syntax, dieses Ereignis aus und auch den Taumel hernach. Kaum mehr im Bewusstsein der Deutschen dürfte hingegen sein, daß heute vor einhundertfünfundsechzig Jahren, achtzehnhundertachtundvierzig, Robert Blum standrechtlich erschossen worden ist. In Wien. Der Kölner Robert Blum war Abgeordneter des ersten demokratischen deutschen Parlamentes, der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, und einer der Führer der bürgerlichen Revolution im Frühjahr achtzehnhundertachtundvierzig, der Märzrevolution. Die Hinrichtung von Robert Blum in Wien durch die reaktionäre Regierung Österreichs unter Bruch der parlamentarischen Immunität ist ein entscheidendes Ereignis auf dem Weg zur Niederlage dieser ersten bürgerlichen Revolution in Deutschland. Siebzig Jahre später, neunzehnhundertachtzehn, ruft am neunten November der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Berliner Reichstagsgebäude aus die “deutsche Republik” aus, weil der Krieg verloren war und die Monarchie nicht mehr zu retten, nachdem der Kaiser abgedankt hatte. Stunden später ist der gleiche Reichstag die Tribüne für Karl Liebknecht vom Spartakusbund,  die “freie und sozialistische Republik Deutschland” auszurufen. Der in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannte Parteichef der NSDAP, Adolf Hitler, und der national-völkische Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff scheitern mit einem Putschversuch vor der Münchner Feldherrnhalle. Nach nur wenigen Stunden. Sechzehn Menschen ließen an diesem neunten November neunzehnhundertdreiundzwanzig in München ihr Leben. Nur fünfzehn Jahre später erleben Berlin und ganz Deutschland am neunten November die antjüdische Progromnacht, verharmlosend als “Reichskristallnacht” bekannt geworden. Im ganzen Gebiet des Deutschen Reiches wurden jüdische Geschäfte demoliert und Synagogen in Brand gesteckt. Hunderte  Juden wurden innerhalb weniger Tage ermordet. Der neunte November ist  Auftakt der offenen Verfolgung der Juden bis hin zum systematischen Holocaust. Und schließlich wird am neunten November neunzehnhundertdreiundfünfzig in Hamburg der Deutsche Kinderschutzbund gegründet und entwickelt sich in den folgenden sechzig Jahren zur bedeutendsten Lobbyorganisation für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Der neunte November. Ein Schicksalstag? Ein Schicksalstag.

Kurt Wallander raucht

Kurt Wallander raucht. Gestern Abend. Später. Im ersten Programm. Kurt Wallander, der schwedische Kommissar, ermittelt gegen die russische Mafia und verbrennt sich bei einem Sprengstoffattentat der Mafiosi die Hände. Kurt Wallander raucht. Mit verbrannten Händen unter dicken Verbänden. Neunzig Minuten lang. Wie lange noch? Die Internationale der Gesundheitsapostel wird sicher alsbald dafür sorgen, dass Kurt Wallander nicht mehr raucht. Jedenfalls nicht im Fernsehen. Verbrannte Hände hin, verbrannte Hände her. Ich als neues Mitglied der Nichtraucherfraktion werde dann vermutlich keinen Kurt-Wallander-Film mehr sehen wollen. Welche Freude ist es, alte ZDF-Kommissar-Folgen zu sehen. Erik Ode, der Kommissar, gibt alles. Er quartzt sich durch das sechzigminütige Kommissardasein in Schwarz-Weiß mit weit mehr Glimmstengeln, als die Internationale Produzentengemeinschaft Krister Hendriksson, das ist Wallander, für neunzig Minuten zur Verfügung stellt. Gut. Ich fange jetzt schon gar nicht an, von den ganz alten Tagen des Internationalen Frühschoppens zu schwärmen, dem Vorgänger des heutigen Presseclubs in der ARD. In diesen Zeiten konnte man sonntags mittags mitunter die Diskutanten im Studio durch die blauen Schwaden kaum mehr richtig ausmachen. Nun gut. Es ist eine eitrige Bronchitis, die mich um diese Zeit, irgendwas nach zwei Uhr, nicht schlafen, sondern husten und schwärmen läßt. Der Mensch ist kein vernunftgesteuertes Wesen..

Liebe Stadtbibliothek Bonn: Fick dich.

So kann es einer gehen, die glaubt, eine andere möge Bücher ebenso wie sie selbst, arbeitet diese doch in einem Bücherhaus, einer Stadtbibliothek. Unter dem ergreifenden Titel :

Liebe Stadtbibliothek Bonn: Fick dich.

hat Claudia in ihrem Orbis, so heißt ihr Blog, also in ihrem Weltkreis eine sehr direkte Kritik veröffentlicht, die man einer relativ frisch promovierten Historikerin so gar nicht zutraut. Hier ein paar Ausschnitte:

Liebe Stadtbibliothek Bonn,
ihr seid süß. In eurer ganzen Provinzialheit und eurer unnachahmlichen Ignoranz verkörpert ihr alles, was ich an dieser Stadt verabscheue. Die Erwartungen, die ihr in Bezug auf euren Bestand und die damit verbundenen Spenden habt, sind im höchsten Maße albern.
Lasst euch von mir sagen, dass jeder Student einfach nur verdammt froh ist, wenn er ein gesuchtes Buch bei euch findet. So, dass er nicht gezwungen ist Geld für eine Fernleihe zu bezahlen oder gar ganz auf das Buch zu verzichten. Ihm ist es egal, ob die begehrte Ausgabe von Oldenbourg Grundriss Geschichte vier Jahre alt ist, denn eine vier Jahre alte Ausgabe zu haben, ist besser als gar keine zu haben. Das Tagebuch von Adam Czernaków, dem Ältesten des Warschauer Judenrates zu haben, vergilbt und verlesen, ist besser als es gar nicht zu haben.
Ich war so naiv, die Stadtbibliothek an sich als einen Hort des Wissens zu sehen, nicht als Laden, wo ich alle Twilight-Bücher kriegen kann. Man möge mir diese Naivität nachsehen, als Geschichtsmensch denke ich bei Bibliotheken nun mal vorrangig an Alexandria oder Pergamon; doch ich glaube, beide Bibliotheken würden sich aus Scham selbst erneut zerstören, wüssten sie, welche Inhalte eure Hallen heute bergen.
Als Kind war ich gerne bei euch und stampfte regelmäßig mit Tüten voller Comics nach Hause. Dann wurde ich erwachsen, studierte und fand hin und wieder einen Schatz in euren Regalen, für den ich dankbar war. Für beides möchte ich euch danken. Beides ist der Grund, dass ich die Bibliothek heute nicht, im Stile Neros, bis zu den Grundmauern abfackeln ließ.
Konzentriert euch ruhig weiterhin auf eure DVDs, CDs und Kassetten (!), eure putzigen wissenschaftlichen Abteilungen und lasst die richtigen Bibliotheken die Arbeit machen, auf die ihr offenbar keine Lust habt: Bücher zu sammeln. Ich jedoch werde eure Hallen nie wieder betreten. Es sei denn, ich führe eine Packung Streichhölzer mit mir.
In diesem Sinne
und mit dem geringstmöglichen Respekt

Mit dem nachfolgenden Link kann man die Beschreibung der Vorgeschichte und den konkreten Zwist nachlesen. Mit Vergnügen. Vergnügen, weil sich jemand öffentlich wehrt.

http://orbis-claudiae.blogspot.de/2013/10/liebe-stadtbibliothek-bonn-fick-dich.html