Monat: Januar 2011

Gefühlsecht: FDP

Gestern meldete dpa, daß die FDP nach Ansicht ihres neuen Landesvorsitzenden, Daniel Bahr, “mehr Gefühl” zeigen müsse. “Wir kommen häufig zu rational, zu kalt rüber. Die Grünen wecken mehr Begeisterung für ihre Themen, schaffen es, sympathischer rüberzukommen.” Also: Die FDP kommt keineswegs zu rational daher. Zu kalt, ja klar: eiskalt. Wer vor Not im Land die Augen schließt, wer die Schwachen gegen die ganz Armen ausspielt, wer eiskalt seine Klientel bedient, der kann eben nicht als warmherzig und mitfühlend erlebt werden. Wer nur ein Thema auf der Agenda hat, Steuersenkung, kann eben keine Sympathie entfachen, wenn alle Welt weiß, daß Steuersenkungen nicht angesagt sind. Wärmer wird die FDP nicht “rüberkommen” können, wenn’s beim Personal und der Programmatik bleibt.

Kohl zum lecken

Hach, was bin ich froh, daß ich meine Briefmarken elektronisch erstelle, mit einem Programm der Post. Sonst geriete ich noch in die mißliche Lage, an einer Briefmarke mit dem Konterfei des Ex-Kanzlers Kohl lecken zu müssen. Von der guten Regel, daß, bis auf den Bundespräsidenten, lebende Personen nicht auf Postwertzeichen verewigt werden sollen, wird, nach dem “deutschen” Papst, mal wieder abgewichen. Weil Kohl Ehrenbürger Europas sei, so die krude Begründung. Sei’s drum. Als Kanzler hat er deutsche Gesetze gebrochen, das Parteienfinanzierungsgesetz umgangen, die Öffentlichkeit belogen. Für eine Sondermarke sollte das nicht reichen. Nicht einmal, wenn es sich um eine Wohlfahrtsmarke handelt, also eine Briefmarke, mit der neben dem reinen Portobetrag ein „Zuschlag“ für wohltätige Zwecke erhoben wird. Kohls Zuschläge haben mir gereicht.

BH

Der BH. Jeder weiß, was mit diesen zwei Buchstaben bezeichnet wird, der Büstenhalter. Mitunter heißt er auch Brüstenhalter, Busenhalter, Büstenhalter, Büha. Im Gossenjargon Tittenstrick, das wäre dann TS.  Oder, auf österreichisch, Hopperlkraxen (HK), Hutschengeschirr (HG), Tittenhalter (TH) oder Duttlhalter (DH). Anyway: Wir bleiben beim BH. Und nun hat ein leibhaftiges Landesarbeitsgericht in Köln (Aktenzeichen: 3 TaBV 15/10) eine wegweisende, eine Jahrhundert-Entscheidung getroffen, zum BH (TS, HK, HG, TH, DH). Arbeitgeber nämlich dürfen, laut Spiegel Online, Mitarbeiterinnen vorschreiben, im Dienst einen BH zu tragen, einen Büstenhalter, Brüstenhalter, Busenhalter und so weiter, siehe oben. Diese Regel bedeute keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Na toll. Als ob dieses Land keine anderen Sorgen habe. Zieht ihn an, Mädels, oder laßt ihn weg, Frauen, den BH, das Abendland wird jedenfalls wegen zweier Körbchen oder einem bloßen Läppchen keinen Schaden nehmen. Und der Kapitalismus auch nicht.

BH

Für die Fachleute: Diese junge Japanerin, Asami, bedeckt sich übrigens mit einem BH der Körbchengröße E70, was ungefähr der amerikanischen Größe D32 entsprechen soll.

Agrobusiness

Agrobusiness – dieses Wort habe ich heute zum ersten mal im Radio gehört, in WDR 5. Gemeint ist, natürlich, das landwirtschaftliche Geschäft, die Produktion von Lebensmitteln. So ganz abseitig ist es indessen nicht, unter agro auch ein Kürzel für aggressiv, Aggression zu vermuten. Glykol im Wein, Gammelfleisch, Dioxin in Eiern und Schweinen – die Kette der Lebensmittelskandale will nicht abreißen. Jahr für Jahr neue Verbrechen an der Gesundheit. Wir werden vergiftet. Aus Profitgier. Weil es offenbar billiger ist, dioxinverseuchte Industriefette dem Tierfutter beizumischen, als tierfuttergeeignete Fette einzukaufen. Profitgier. Der Verlust jeder Moral, allen Anstands, die aggressive Regellosigkeit ist in keinem Bereich industrieller Produktion wirklich eine angenehme Eigenschaft. Im Bereich der Lebensmittelproduktion indes ist sie nichts als ein Verbrechen. Die leibliche Gesundheit der Konsumenten wird aufs Spiel gesetzt für den schnellen Euro. Und unsere Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Ilse Aigner? Sie plädiert für Selbstkontrollen der Unternehmer. Grotesk. Wem nach diesem erneuten Vergiftungsversuch nicht klar ist, daß wir einen starken Staat und regelmäßige und rigide staatliche Kontrollen brauchen, dem ist in seiner neoliberalen Verblendung nicht mehr zu helfen. Dieser schwarz-gelbe Spuk mit der Vergötzung des vogelfreien, ungeregelten Marktes muß alsbald ein Ende haben.

Realer Liberalismus

Soviel hintergründigen Humor hätte ich den Journalisten der Financial Times Deutschland gar nicht zugetraut. Und besonders nett, daß Christian Lindner die vierzeilige Überschrift zu seinen Lieblingsüberschriften hinzugefügt hat. Christian Lindner, der Chefredakteur der Rheinzeitung. Nicht der Generalsekretär. Ob der Humor hat, wird sich noch erweisen müssen.

Gespensterdebatte

„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.” Man sollte meinen, Karl Marx und Friedrich Engels hätten diesen berühmten ersten Satz aus dem Manifest der Kommunistischen Partei erst dieser Tage geschrieben. Dabei wurde das Kommunistische Manifest bereits am 21. Februar 1848 in London veröffentlicht. 162 Jahre sind seither vergangen. Zeit genug also, um eine Gespensterdebatte loszuwerden. Aber nein. In Deutschland werden diese Gespensterdebatten immer wieder gerne geführt. Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei Die Linke, also einer linkssozialistischen bis linkssozialdemokratischen, keineswegs aber kommunistischen Partei, hat in einem eigentlich unbedeutenden Beitrag für die Junge Welt den vielleicht mißverständlichen, jedenfalls aber unbedeutenden Satz formuliert: “Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. (…) Wir müssen lernen, Sackgassen zu verlassen und sie nicht ambitioniert als Wege zum Kommunismus zu preisen.” Und diese eine Vokabel, das böse K-Wort: Kommunismus, reicht hierzulande völlig aus, die Gespensterdebatte loszutreten. “Linke-Chefin erklärt Kommunismus zum Ziel der Partei” orakelte Spiegel-Online. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zieh Lötzsch einer “skandalösen Kommunismussehnsucht”, CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt befand, die Politikerin stehe “außerhalb unserer Verfassung”. Natürlich haben all diese Kritikaster sich kaum der Mühe unterzogen, den ganzen Beitrag von Gesine Lötzsch zu lesen, aus dem, wie unglücklich auch immer formuliert, eher das Plädoyer für einen demokratischen Sozialismus herauszulesen ist, denn die Werbung für eine kommunistische Gesellschaftsordnung. So lange es in unserem Land ausreicht, das Wörtchen Kommunismus auszusprechen, um eine geifernde Gespensterdebatte in den Medien, eine publizistische Denunziationswelle in Zeitungen und Zeitschriften, Hysterie und Wut auszulösen, so lange wird sich unsere Elite, die politische und journalistische, als noch nicht reif für wirkliche europäische Einigung erwiesen haben. Kommunismus ist eine klassenlose Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben und die Produktion des gesellschaftlichen Lebens gemeinschaftlich geplant und durchgeführt wird. Kommunismus steht also keineswegs für den Sozialismus, wie er seinerzeit in der DDR, oder den Stalinismus, wie er in der Sowjetunion praktiziert wurde. Kommunismus ist die Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der nicht mehr der Stärkere den Schwächeren unterjochen kann. Wie immer wir auch die Realisierungschancen für eine solche Gesellschaftsformation einschätzen, kann doch die Debatte um eine solche Vision gesellschaftlicher Verhältnisse nicht mit schnaubender Wut und Schaum vor dem Mund geführt werden. Ob es besonders klug ist, als Linken-Parteivorsitzende zumal, publizistisch Wege zum Kommunismus zu erkunden, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Die Denk- und Debattierverbote aber, die nunmehr allenthalben formuliert werden, die erweisen die Bundesrepublik keineswegs als bürgerliche Kulturnation. Kommunismus ist eine entschiedene, eine radikale Fortsetzung dessen, was im Verlauf der bürgerlichen Revolution in Frankreich gedacht und geschrieben wurde. Kommunismus steht aber auch für die Heilserwartung des Urchristentums oder Judentums. Die Idee, das Privateigentum abzuschaffen, fußt auf der grundlegenden Gleichstellung aller Menschen. Und diese Idee ist uralt und wird in mancherlei Naturreligionen und monotheistischen Religionen vertreten. Kommunismus ist weit mehr als Marxismus oder gar Stalinismus. Ärgerlich, daß dies im Land der Dichter und Denker immer mal wieder gesagt werden muß. Betrüblich, daß die Bundesrepublik in Europa noch nicht angekommen ist, in dem weit entspannter als hierzulande über gesellschaftliche Visionen, auch über den Kommunismus nachgedacht und disputiert werden kann.

Nachtrag: “Ich glaube, ich bin vor dem Verdacht geschützt, ein Vorkämpfer des Kommunismus zu sein. Trotzdem kann ich nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche.” (Thomas Mann 1943 zum 10. Jahrestag der faschistischen Bücherverbrennungen)

Waldmännchentag

Heute, am zweiten Januar, ist nach alter heidnischer Tradition in der hessisch-thüringischen Grenzregion der Waldmännchentag. Ein Unglückstag, an dem alle Waldarbeiten und die Arbeit in den Bergwerken unterbleiben mußten. Wer dieses Verbot mißachtete, traf im Wald auf das Waldmännchen, eine Art Waldschrat, der sich in seiner Winterruhe gestört fühlte und meist mit dem Tode strafte.