Tag: 25. September 2010

Lied der Partei

Vom tschechoslowakisch-deutschen Schriftsteller Louis Fürnberg stammt das “Lied der Partei”, in dessen Refrain es heißt: “Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!” Das Lied der Partei galt als Hymne der SED. Dabei war es ursprünglich als Huldigung an den IX. Parteitag der KPČ geschrieben worden. Fürnberg war nicht zu diesem Parteitag eingeladen worden und schrieb das Lied aus verzweifeltem Trotz, um sich selbst wieder zur Ordnung zu rufen. Die Partei hat eben immer Recht. Aber: Gilt das nur für kommunistische, für leninistische Parteien? Gilt das nicht auch, ansatzweise jedenfalls, für andere Parteien? Die CDU hat in Baden Württemberg hat Recht, gegen die CDU-Mitglieder, die gegen Stuttgart 21 auf die Straße gehen. Die SPD hat Recht, gegen die, die sich kritisch gegen den Ausschluß von Thilo Sarrazin wenden. Die FDP hat Recht, gegen jene Mitglieder, die sich kritisch mit der Führungsrolle des Vorsitzenden Westerwelle auseinandersetzen. Alle Parteien tun sich schwer mit Mitgliedern, die sich schwer tun mit Parteilinien, die sich Vorgaben nicht unterordnen, die ihre eigene Meinung nicht an der Parteigarderobe abgeben. Das Wesen der Partei ist, möglichst geschlossen die eigenen Interessen durchzusetzen. Also können abweichende Positionen nur in begrenztem Maß in einer Partei ausgehalten werden. In dem Sinne sozialisiert jede Partei ihre Mitglieder. Wer nach diesem Prozeß immer noch der Meinung ist, die Partei habe nicht immer Recht, der muß sich anderswo seinen Platz suchen. Wir können das in Wermelskirchen ganz gut an den Abspaltungen von der CDU studieren. UWG, WNK und Büfo sind allesamt Fleisch vom Fleische der christlichen Union. Verlorene Machtkämpfe, unterschiedliche Positionen, nicht erfüllte Karrierewünsche, was auch immer zu diesen Erosionen geführt haben mag: Die Partei hat immer Recht behalten. In diesem Fall die CDU. Abspaltungen sind aber nur eine Seite der Medaille. Viel spannender ist die nachlassende Bindungskraft der Parteien. (Im übrigen: Nicht nur der Parteien. Auch andere Großorganisationen, Kirchen beispielsweise oder Gewerkschaften, erleiden einen grandiosen Bedeutungsverlust.) Die ursprünglichen Milieus, in denen die Parteien prosperieren konnten, haben sich weitgehend aufgelöst. Beispielsweise haben bei der Bundestagswahl 2009 mehr Arbeiter die CDU gewählt als die (ursprüngliche Arbeiterpartei) SPD. Ein wesentliches Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft ist das einer zunehmenden Individualisierung. Das bedeutet nicht zugleich auch Entpolitisierung, was etwa an der sich neu entwickelnden Bewegung gegen die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke deutlich wird oder an den Demonstrationen gegen Stuttgart 21. Viele Bürger sind nach wie vor bereit, sich zu engagieren. Vor allem dann, wenn sie unmittelbar betroffen von Entscheidungen der Politik sind. Wozu sie aber immer weniger bereit sind, das ist die regelmäßige Unterordnung unter weitgehend ritualisierte Parteipolitik, das ist das Abnicken dessen, was in Vorständen und Zirkeln vorbesprochen wurde, das ist die Duldung eines floskelhaften und lebensfernen Politjargons. Und: Wenn es ungerecht zugeht in der Gesellschaft, wenn Partikularinteressen bedient werden, statt das Gemeinwohl zu stärken, dann können Parteien keine gute Konjunktur haben. Das Ergebnis ist dann eher so etwas wie Parteienverdossenheit. Gut zu studieren am aktuellen Ranking der FDP in den Umfragen oder am famosen Scheitern der schwarz-gelben Koalition in Nordrhein-Westfalen. Und zuvor am niederschmetternden Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl. Alle Parteien erleiden diesen Bedeutungsverlust gleichermaßen. Ihnen gelingt es zusehends weniger,  Menschen zu mobilisieren. Die Mitgliederzahlen sind rückläufig. Immer weniger Menschen nehmen ihr Wahlrecht wahr. Für immer weniger Menschen also gilt: Die Partei hat immer Recht. Im eigenen Saft schmort es sich ganz gut. “Wir müssen raus ins Leben”, hatte der SPD-Vorsitzende Gabriel die nach der Wahlschlappe unter Schock stehenden Sozialdemokraten beim Dresdner Parteitag im November 2009 in einer fulminanten Rede angefeuert: “Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist. Denn nur da ist das Leben!” Eben. In der Partei, in den Parteien ist zu wenig Leben. Stattdessen die Bekehrung der Bekehrten. Die Parteien müssen sich anstrengen, um Bürger wieder zu interessieren. Sie müssen sich ihnen zuwenden. Mit anderen Angeboten als den hergebrachten. Offene Debatten sind erforderlich, ganz ohne jede Parteiraison. Die Partei hat eben nicht immer Recht, keine Partei. Parteien können und müssen lernen, vom Bürger. Das alles wird indes kaum etwas nützen, wenn Parteien das Gemeinwohl aus dem Auge verlieren. Eine Gesundheitsreform, die nur die Versicherten ausplündert und das als “Reform” verkaufen will, den bestverdienenen Pharmaunternehmen aber keine Preis- oder Qualitätsvorschriften macht,  eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, die selbst von den Experten der Bundesregierung nicht für erforderlich gehalten wird und die den kommunalen Energieversorgungsunternehmen enorm schadet, ein “Spar”haushalt mit sozialer Schieflage – all das kann durchs beste Marketing nicht verbessert werden. Die Menschen rücken von den Parteien ab, aber sie haben sich das Gefühl und Gespür für mangelnde Gerechtigkeit bewahrt. Und sie werden den Parteien erneut den Denkzettel ausstellen. Wie heißt es so schön in Fürnbergs Parteihymne? “Wer das Leben beleidigt, ist dumm oder schlecht.”