Tag: 9. Juni 2010

Tapfer, aber ahnungslos

Kaum ist das sogenannte “Spar”-Paket der Koalition, für dessen enorme soziale Schieflage vor allem die FDP verantwortlich zeichnet, in der Öffentlichkeit, sackt die FDP in Umfragen auf die Fünf-Prozent-Marke ab. Offenbar mag die große Mehrheit der Bürger der einseitigen Belastungspolitik nicht folgen. In nur wenigen Monaten hat sich die liberale Partei pulverisiert. Zwei Drittel ihrer Anhänger hat sie in nur einem Dreivierteljahr vergrault. Und sie merkt es offenbar noch nicht einmal wirklich. “Selbst unter Gutverdienern und Vermögenden dürfte es keine Mehrheit mehr geben für eine Haushalts-‘Konsolidierung’ mit den Mitteln sozialer Sprengsätze”, schreibt Stephan Hebel heute in der Frankfurter Rundschau. Selbst in der Union und gar im Wirtschaftsflügel der CDU diskutiert man über die Notwendigkeit von (maßvollen) Steuererhöhungen für die Vermögenden oder eine stärkere Beteiligung der Krisenverursacher aus der Bankenwelt und der Finanzwirtschaft an der Eindämmung der Haushaltskrise. Nur in der FDP werden die neoliberalen Dogmen weiterhin gepredigt, vollkommen unabhängig von den ökonomischen und politischen Realitäten. “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.” Der berühmte Satz von Michael Gorbatschow richtete sich 1989, anläßlich des vierzigsten Jahrestages der DDR, gegen die Riege alter Männer, die tapfer, aber ahnungslos Arbeiterlieder sangen gegen den Wind des Wandels. Heute gegen die Riege junger Männer, die tapfer, aber ahnungslos  die neoliberalen Glaubenssätz herbeten gegen den Wind des Wandels. Die DDR jedenfalls ist schon Geschichte. Millionen Menschen in unserem Land führen ein Leben in unauffälliger Würde. Diese Würde kann ihnen auch die schwarz-gelbe Koalition nicht nehmen. Womöglich werden viele von ihnen die Überlegung anstellen, daß sie sich ihre Würde auch auf der Straße werden wahren müssen, im Protest gegen die unsoziale Bundesregierung. “Dieses angebliche Sparkonzept muss auch den weitgehend verschonten Mittelstand aufbegehren lassen. Denn wer heute noch zur Mittelschicht gehört, kann schon morgen seinen Job verlieren. Und dann dreht sich die Abwärtsspirale nächstens noch schneller. Dass der Union nicht mal der Mittelstand heilig ist und auch nicht eigenes Regierungshandeln von gestern, zeigt die Kappung beim Elterngeld, die auch Gutsituierte trifft. Hauptsache, die ganz oben werden geschont. Gründe genug, für die, die schon ganz unten sind, und jene in der Mitte, ihren Protest auf die Straße zu tragen. Aus aktueller oder potenzieller Betroffenheit. Oder noch besser: Um des sozialen Friedens willen, der dieser Koalition keinen Cent wert ist.” Das schrieb gestern Monika Kappus in der Frankfurter Rundschau.