Tag: 19. November 2009

Gemeinwohl oder “Woran krankt der Kapitalismus?”

“Woran krankt also der Kapitalismus? Er krankt nicht allein an seinen Auswüchsen, nicht an der Gier und dem Egoismus von Menschen, die in ihm agieren. Er krankt an seinem Ausgangspunkt, seiner zweckrationalen Leitidee und deren systembildender Kraft. Deshalb kann die Krankheit auch nicht durch Heilmittel am Rand beseitigt werden, sondern nur durch die Umkehrung des Ausgangspunktes. An die Stelle eines ausgreifenden Besitzindividualismus, der das als natürliches Recht proklamierte potentiell unbegrenzte Erwerbsinteresse der Einzelnen, das keiner inhaltlichen Orientierung unterliegt, zum Ausgangspunkt und strukturierenden Prinzip nimmt, müssen ein Ordnungsrahmen und eine Handlungsstrategie treten, die davon ausgehen, dass die Güter der Erde, das heißt Natur und Umwelt, Bodenschätze, Wasser und Rohstoffe, nicht denjenigen gehören, die sie sich zuerst aneignen und ausnützen, sondern zunächst allen Menschen gewidmet sind, zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse und der Erlangung von Wohlfahrt. Das ist eine grundlegend andere Leitidee; sie hat die Solidarität der Menschen in ihrem Miteinander (und auch Gegeneinander) zum tragenden Bezugspunkt.”

Schön, schön, könnte man meinen, was die Linken in dieser Republik sich immer wieder zusammenträumen, zusammenreimen, zusammensammeln. Nur: Beim Autor dieser Sätze handelt es sich gar nicht um einen Linken. Geschrieben hat dies Ernst-Wolfgang Böckenförde in der Süddeutschen Zeitung vom 24.4.08. Böckenförde ist Professor für öffentliches Recht, Verfassungs- und Rechtsgeschichte sowie Rechtsphilosophie, zunächst in Heidelberg, später in Bielefeld und Freiburg. Mitglied der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestags und von 1983 bis 1996 Richter am Bundesverfassungsgericht. Teil der bundesdeutschen Elite also. Die Gier ist es mithin nicht, an der der Kapitalismus krankt, stellt Böckenförde fest. Er krankt an seiner Leitidee. Eine radikalere Beschreibung der bundesdeutschen Verhältnisse läßt sich derzeit kaum finden. Es handele sich also um eine vertitable Systemkrise. Der Kapitalismus sei nicht auf „die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen … gerichtet, sondern auf unbegrenzte Ausdehnung seiner selbst, auf Wachstum und Bereicherung”. Er löse sich „von den Gegebenheiten der Realwirtschaft ab und beschädigt diese. (…) Nimmt man dies zum Ausgangspunkt, wirkt sich das in vielfacher Weise aus: auf die Zuordnung der Bodenschätze und natürlichen Rohstoffe, auf den Umgang mit den Bedarfsgütern und der Umwelt, auf eine führende Rolle jedweder Arbeit gegenüber dem Kapital wie auch auf Grenzen der Akkumulation von Eigentum, auf die Anerkennung der Mitmenschen – auch der künftigen Generationen – als Subjekte und Partner im Bereich von Nutzung, Handel und Erwerb statt Objekte möglicher Ausbeutung. Dadurch wird ein verbindlicher Rahmen vorgegeben. Innerhalb dieses Rahmens können und sollen durchaus Erwerbssinn und Eigennutz, die Garantie von Eigentum, ihren pragmatischen Sinn und ihre Funktion als Antriebskräfte des wirtschaftlichen Prozesses haben. Aber sie bleiben eingebunden in das vorausliegende Konzept der Solidarität, das inhaltliche Orientierung gibt und unbegrenzter Ausdehnung Grenzen setzt.“ Böckenförde plädiert für eine neue politische Ordnung, in der eine „handlungs- und entscheidungsfähigen Staatsgewalt, … durch Begrenzung, Zielausrichtung und auch Zurückweisung wirtschaftlichen Machtstrebens wirksam Gemeinwohlverantwortung wahrnimmt.“

Gedeckt wird dieser Gedanke durch Art 14 des deutschen Grundgesetzes: (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. (…)  (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Dort steht es: Wohl der Allgemeinheit, Gemeinwohl. Das Grundgesetz, die Thesen Böckenfördes, alles nicht wirklich neu. Aber auch nicht wirklich alt, nicht veraltet. Im Gegenteil. Moderne Gedanken, Thesen, Positionen, mit Hilfe derer Staat zu machen wäre. Eine bürgerliche Gesellschaft. Eine demokratisches Staatswesen, in dem sich freie Bürger nicht zueinander verhalten ausschließlich als “Besitzindividualisten”, als Bourgeois, sondern als solidarische Gemeinschaft von Citoyens,  freier und gleicher Bürger, in der das Gemeinwohl “tragender Bezugspunkt” ist, in der Starke Schwache stützen. Nur eine “bürgerliche Koalition” läßt sich mit diesen Gedanken nicht machen.

Welttoilettentag

Heute, am 19. November, ist World Toilet Day, der Welttoilettentag. Was zunächst wie ein schlechter Witz zu klingen scheint, erweist sich bei näherem Hinsehen durchaus als wichtiges Anliegen. Das stille Örtchen mit Wasserspülung und Geruchsbremse hinter einer Wasserrohrbiegung ist ja nur in unseren Breiten Errungenschaft der Zivilisation. 2,4 Milliarden Menschen leben ohne sauberen Abtritt. Jack Sim, Gründer der Welttoilettenorganisation, tadelt: “Man darf kurz darüber lachen, aber dann sollte man das Thema ernst nehmen.” Der Welttoilettentag solle die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wachrütteln und Tabus beseitigen. Das Toilettenproblem sei für einen Großteil der Menschheit immer noch nicht gelöst. Die nationalen Regierungen hätten mindestens drei Prozent ihrer Ausgaben für Sanitär- und Wasserversorgung aufzuwenden.

Mauskritik

Armin Maiwald hat zugeschlagen. Rhetorisch. In einem Interview der Frankfurter Rundschau. Armin Maiwald ist einer der Erfinder der Sendung mit der Maus, die seit 1971 ausgestrahlt wird. Mit seiner markanten Stimme kommentiert er die „Sachgeschichten“, in denen unterschiedliche Gegenstände und Vorgänge des Alltags kindgerecht erklärt werden. Armin Maiwald ist mehrfach für seine Produktionen presigekrönt worden und hat auf Vorschlag von Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz erhalten. Nach ihm ist eine Schule in Radvormwald benannt.

Vor Jahren noch gab es etwa im WDR eine lange Strecke für Kinderprogramm, die ist weg, alles abgebaut zugunsten von irgendwelchen Talkshows oder sonstigem Kram. Seit 20 Jahren herrschen nur noch Quotendruck und Kommerz. (…) Wenn ich es wäre (Programmdirektor des Fernsehens, W.H.), würde ich die Werbung komplett rausschmeißen aus dem Öffentlich-Rechtlichen. Und nachmittags, wenn die Kinder Zeit haben, so zwischen 17 und 19 Uhr, liefe gutes Kinderfernsehen. (…) Gutes Kinderfernsehen muss die Kinder ernst nehmen, sie mit ihren Themen beliefern, das können Geschichten sein, kleine, gute, große, lange, dicke, dünne Geschichten, vor allem gut gemachte Geschichten, die mit dem Alltag der Kinder zu tun haben. Und es muss informieren, es muss die Kinder neugierig machen und dazu anregen, hinauszugehen und sich die Welt genauer anzuschauen. (…) Der WDR hat früher große Spielfilme gemacht, zum Beispiel “Luzie, der Schrecken der Straße” oder “Pan Tau”. Wir hatten damals Serien wie “Der Spatz vom Wallrafplatz” oder “Schlager für Schlappohren mit dem mutigen Hasen Cäsar” oder dokumentarische Serien wie “Kein Tag wie jeder andere”, wo wir Kinder beim ersten Fallschirmabsprung oder bei ihrer ersten Bergtour mit Biwak begleitet haben.  (…) Und es wurden laufend neue Formate entwickelt. Aber diese Zeiten sind lange vorbei. Heute werden Millionen für Sportrechte rausgeballert, aber im Kinderprogramm muss gespart werden. So kann es kein gutes Kinderfernsehen geben. (…) Man muss grundsätzlich feststellen, dass Deutschland kein sehr kinderfreundliches Land ist. Die Realität steht in krassem Gegensatz zu den Sonntagsreden, in denen es immer heißt: Die Kinder sind unsere Zukunft. Aber wenn es ans Eingemachte geht, wenn ein Spielplatz in Stand gehalten werden soll, dann ist kein Geld da. Sie nennen das Bildungsmisere, das ist richtig, aber es ist in vielen Bereichen so. Und es lässt sich eins zu eins aufs Fernsehen übertragen. (…) Und wenn das so weitergeht, fürchte ich, dass das Fernsehen die Kinder völlig verlieren wird an das Internet. Den Trend gibt es ja längst und das Fernsehen hat dem bislang wenig entgegenzusetzen. (…) Ja, die Öffentlich-Rechtlichen sind bescheuert. Wenn sie die Kinder so schlecht bedienen, dann müssen sie sich nicht wundern, wenn sie sie später als Erwachsene verlieren. Wenn sie heute Erwachsene fragen, dann erinnern sich alle an “Augsburger Puppenkiste” oder “Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt” oder “Pan Tau” – das geht quer durch die Generationen. Das sind Kindheitserinnerungen an Dinge, die in der ARD zu Hause waren. Die Menschen sind damit aufgewachsen. Aber irgendwann wird das anders sein, weil es dann diese gemeinsamen Erinnerungen nicht mehr gibt.