Monat: September 2009

“Es ist Deutschland hier…”

Jeder entzaubert sich selbst, so gut er kann. “Wie wird sich die deutsche Außenpolitik unter Ihrer Führung verändern?”, fragt ein BBC-Journalist den deutschen Außenminister in spe. “Sie stellen dieselbe Frage nach Ämtern, nur kommen Sie von der internationalen Ecke”, antwortet der alerte Außenminister designatus. Westerwelle spricht zwar deutsch. Versteht es aber vielleicht nicht. Beantwortet hat die Frage nach dem sich ändernden Konzept deutscher Außpenpolitik nicht. Weder auf deutsch, noch in einer anderen Sprache. Er hat den Frager schlichtweg abgekanzelt. “Es ist Deutschland hier.”

Nochmal zum Thema “Volkspartei”

Nach den Wahlverlusten von Sonntag ist das Konzept “Volkspartei” in aller Munde. Der Göttinger Politikwissenschaftler und Parteienforscher Franz Walter sieht die Volksparteien in einer großen Krise. “Die SPD ist von 30 Prozent meilenweit entfernt. Dort wäre die Union auch, wenn sie nicht ihre Rentnerkohorte der über 60-Jährigen hätte. Ihr Vorsprung vor der SPD ist ein rein demographischer. In den aktiven, erwerbstätigen Schichten sieht es auch für die CDU / CSU zappenduster aus.” Die Bindekraft von Union und SPD gehe bisher von einem starken weltanschaulich-ideologischen Kern aus, um den herum eine loyale Anhängerschaft gruppiert war, die der Partei die Treue hielt. Bei der SPD die sozialistisch-gewerkschaftlichen, bei der Union die kirchlich geprägten Kreise. Das alles löse sich auf. Die Volksparteien seien zu „Allerweltsparteien“ geworden, “ohne markante Interessenvertretung, ohne Ankerplatz für ein intellektuelles Anliegen, ohne großes politisch-gesellschaftliches Ziel.” In einer Phase gesellschaftlicher und politischer Unklarheit wachse dagegen der Bedarf nach größerer Eindeutigkeit. “Gerade in schweren Zeiten haben die Menschen Sehnsucht nach einem Moment der Einheit, der Geschlossenheit”, so Franz Walter.

Ohne großes politisch-gesellschaftliches Ziel! Ohne Ankerplatz für ein intellektuelles Anliegen! Ohne markante Interessenvertretung ! Haben wir da nicht schon Ansatzpunkte für ein neues Nachdenken, sogar auf lokaler Ebene?

Sprachlos im Internet

Man weiß mittlerweile sicher, daß sich jüngere Menschen tendenziell anders informieren als ältere, nämlich weniger aus Hörfunk, Fernsehen oder Tageszeitung, dafür aber stärker über das Internet. Insoweit ist kaum zu verstehen, daß die Parteien in Wermelskirchen das Internet nicht auch als aktuelles Medium nutzen. Und: Wenn eine Internetseite mehrfach aufgesucht worden ist, ohne daß es überhaupt Informationen gibt, geschweige denn Neue,  dann sind diese Internetnutzer für die entsprechende Partei ein für alle mal verloren. Man darf nicht davon ausgehen, daß jüngere Menschen einen sportiven Ehrgeiz entwickeln und tage- oder wochenlang immer wieder auf die Internetseiten einer Partei surfen. Weg ist weg. Insofern wundert mich beispielsweise nicht, daß die SPD fast die Hälfte ihrer Wähler unter 30 Jahren bei der letzten Bundestagswahl verloren hat, wenn viele lokale Internetangebote der Partei ähnlich sein sollten wie hier in Wermelskirchen. Wer die Medien nicht nutzt und pflegt, kann auch die Mediennutzer nicht erreichen.

Wer die Wahl hat …

Freunde rufen mich an, mails erreichen mich: Ich solle doch mal was zu den Wahlen von vergangenem Sonntag schreiben. Ist nicht in allen Medien, Hörfunk und Fernsehen, Zeitungen, Internet, schon alles zu den Bundestagswahlen gesagt? Werden nicht jeden Tag aufs neue eine kluge Analysen geliefert? Doch. Also ist entbehrlich, was ich mir noch so ausdenken, woran ich noch Anstoß nehmen könnte. Also wirklich nur einige (Rand-) Bemerkungen.

Das Hauptergebnis ließ sich vorher bereits absehen, nämlich die Wahl einer FDP-geführten Bundesregierung mit CSU/CDU unter Kanzlerin Merkel. Damit ist zum ersten mal in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik ein Regierungswechsel aus dem Kanzleramt heraus gelungen. Aber es gab auch so viele Nebenergebnisse wie sonst selten. Keineswegs nur den dramatischen Bedeutungsverlust der SPD oder die Konsolidierung der kleineren Oppositionsparteien. Mit knapp 71% hatten wir die niedrigste Wahlbeteiligung aller Bundestagswahlen. 18 Millionen Wahlberechtigte haben ihre Stimme behalten. Das bedeutet: Die Mehrheit hat keine Mehrheit. Bei der vorgestrigen Bundestagswahl wählten 29,2 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht, 23,6 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU/CSU, 16,1 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD, 10,2 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP, 8,3 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE und 7,5 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen. Weiterlesen

Rohrkrepierer

Der baden-württembergische Landeschef der CDU-Mittelstandsunion, Peter Ibbeken, vermisst bei Wählern der Linkspartei Dankbarkeit für den Aufbau Ost. “Beschämend ist die geschichtslose Unwissenheit oder Vergesslichkeit zahlreicher Wähler, die den Linken zu stabilen zwanzig bis dreißig Prozent Stimmenanteil verhilft”, wird Ibbeken vn der Süddeutschen Zeitung zitiert.

Das Finale der Ossi-Beschimpfung: “Wir haben nicht in den letzten zwanzig Jahren mit 1600 Milliarden Euro Steuerngeldern den Aufbau Ost finanziert, um bundesweit Sozialisten, Kommunisten und Rechtsradikale die Geschicke unseres Landes bestimmen zu lassen.” Die vielen “n” in Steuerngeldern stammen vom Original, der Homepage der CDU-Mittelstandsvereinigung, wie die SZ betont.

Peter Ibbeken. Muß man den Verfasser solch tumber Sprüche, einen Menschen mit einem derart verquasten Politikverständnis kennen?

Ibbeken ist Geschäftsführer der Rüstungsschmiede Diehl BGT Defence GmbH in Überlingen. Die produziert Artillerieraketen, Lenkflugkörper und großkalibrige Munition, vor allem für die Bundeswehr.

Peter Ibbeken ist wohl für die Rohrkrepierer zuständig.

Urne und Urnengang

Schon merkwürdig, daß in der deutschen Sprache das Wörtchen Urne sowohl das meist runde, zylinderförmige Behältnis bezeichnet, in dem die Asche von Verstorbenen aufbewahrt wird, wie auch den meist quadratischen Kasten, in dem die Stimmzettel bei Wahlen gesammelt werden. Der Urnengang hingegen ist ein Synonym für die Wahl, nicht für den Transport der Urne von der Aufbahrung zum Grab. Laut Handbuch des Journalismus allerdings „unter allen zwanghaften Synonymen wohl das dümmste“.

Tigerente und Zornnatter

Tigerentenkoalition – eine Wortschöpfung von Maybritt Illner. Schwarz-Gelb also. Klingt irgendwie niedlich. Oh, wie schön ist Panama. Ob wir das alles noch nach dem morgigen Abend denken werden? Die süße Tigerente als Symbol für Politik? Wenn die Bürger die Folgen der von gierigen Bänkern und Finanzzockern zu verantwortenden Krise werden bezahlen müssen; wenn die Arbeitslosenzahlen wieder steigen werden; wenn die Reallöhne weiter sinken werden, anders als in anderen europäischen Ländern; wenn Menschen weiterhin für Löhne werden arbeiten müssen, mit denen ein anständiges Leben nicht zu finanzieren ist; wenn Lobbyisten der Regierung weiterhin den Ton vorgeben werden; wenn Bildung noch mehr als bisher schon von sozialer Herkunft abhängig sein wird; wenn Gesundheit kaum mehr zu bezahlen sein wird, weil der Pharmaindustrie kein Einhalt geboten werden wird – werden wir dann an die nette Tigerente denken? Oder womöglich doch eher an  Hierophis viridiflavus, an die Zornnatter, die auf blau-schwarzem Rücken gelbe Flecken trägt und deren schwarzer Kopf mit gelben Sprenkeln versehen ist.